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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Kentucky-Fried-Chicken-Imbiß.
    Natalie hielt das Auto an, stellte es in Leerlauf und bemühte sich, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Saul beugte sich zu ihr, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und küßte sie erst auf die linke und dann auf die rechte Wange. »Sie sind der tapferste Mensch, den ich je kennengelernt habe, meine Liebe. Wenn ich eine Tochter hätte, wäre ich stolz, wenn sie wie Sie wäre.«
    Natalie wischte die letzten Tränen fort.
    »Saul, wir müssen schnellstens ins Motel zurück und den EEG anschließen, wie geplant. Sie müssen mir Fragen stellen. Sie hat mich berührt ... ich habe es gespürt ... es war schlimmer als damals bei Harod ... es war kalt, Saul, so kalt und glitschig wie ... ich weiß nicht ... wie etwas aus dem Grab.«
    Saul nickte.
    »Sie denkt, daß Sie etwas aus dem Grab sind. Wir können nur hoffen, daß sie sich so sehr vor einer erneuten Konfrontation mit Nina fürchtet, daß sie nicht einmal den Versuch wagen wird, Sie ihrer mutmaßlichen Nemesis wegzunehmen. Wenn Sie ihre Fähigkeiten bei Ihnen zur Anwendung bringen wollte, wäre es eigentlich logisch gewesen, daß sie das tut, solange sie noch Kontakt hatte.«
    »Gabe«, sagte Natalie, »sie hat es >unsere Gabe< genannt, und ich konnte die Anführungszeichen förmlich mithören.« Sie sah sich mit ängstlichen Augen um. »Wir müssen zurück, Saul, und die vierundzwanzigstündige Quarantäne durchführen, genau wie geplant. Sie müssen mir Fragen stellen, sich vergewissern, daß ich mich ... erinnern kann.«
    Saul lachte leise.
    »Natalie, wir schließen das EEG-Telemetriepack an, wenn Sie schlafen, und Sie werden schlafen, aber auf die Fragen und Antworten können wir verzichten. Ihr kleiner Monolog hier im Auto hat mich davon überzeugt, daß Sie die sind, die Sie immer waren ... und das ist eine sehr tapfere und wunderschöne junge Dame. Rutschen Sie hierher und kommen Sie etwas zur Ruhe. Ich komm rüber und fahre.«
    Natalie lehnte den Kopf an die Nackenstütze, während Saul die letzten paar Meilen zum Motel fuhr. Sie dachte an ihren Vater - erinnerte sich an Zeiten des Schweigens in der Dunkelkammer oder beim Essen mit ihm -, erinnerte sich daran, wie sie sich an einem Stück rostigen Metalls hinter Tom Pipers Haus das Knie aufgeschlitzt hatte - sie mußte fünf oder sechs gewesen sein, ihre Mutter war noch am Leben gewesen - und nach Hause gelaufen war, wo ihr Vater durch den Garten zu ihr kam, den Rasenmäher laufen ließ und zu ihr kam und erschrocken ihr Bein und die blutgetränkte weiße Socke betrachtete, aber sie hatte nicht geweint, und er hatte sie hochgehoben und zur Verandatür hineingetragen und sie dabei die ganze Zeit >mein tapferes kleines Mädchen, mein tapferes kleines Mädchen< genannt hatte.
    Und das war sie. Natalie machte die Augen zu. Das war sie.
    »Es ist der Anfang«, sagte Saul. »Es ist ganz eindeutig der Anfang. Und für sie ist es der Anfang vom Ende.«
    Natalie, die die Augen noch geschlossen hatte und deren Herzschlag sich allmählich normalisierte, nickte und dachte an ihren Vater.

56. Kapitel
     
    Melanie
     
    Bei Tageslicht fiel es mir schwerer, zu glauben, daß Nina mit mir Verbindung aufgenommen hatte. Meine erste Reaktion war Angst und ein Gefühl der Verwundbarkeit gewesen, weil ich entdeckt worden war. Aber das legte sich bald und wich einem Gefühl von Entschlossenheit und neugewonnener Energie. In wessen Diensten dieses Mädchen auch immer stehen mochte, sie hatte mich stimuliert, wieder über meine Zukunft nachzudenken.
    Am Mittwoch, ich glaube, es war der fünfte Mai, kam die Negerin nicht zurück, daher unternahm ich auf eigene Faust etwas. Dr. Hartman ging von Krankenhaus zu Krankenhaus, vorgeblich, weil er eine neue Beschäftigung in Erwägung zog, aber in Wahrheit, um nach Dauerpatienten zu suchen, auf die Ninas Beschreibung passen könnte. Da ich mich an meinen eigenen Aufenthalt im Krankenhaus von Philadelphia erinnerte, befragte Dr. Hartman kein medizinisches Personal oder Verwaltungsangestellte, sondern verschaffte sich Zugang zu den Krankenhauscomputern und überflog Medikamentenlisten, Operationsstatistiken und Materialanforderungen unter dem Vorwand, die Örtlichkeiten des Krankenhauses zu begutachten. Die Suche dauerte bis Freitag an, und immer noch keine Spur von dem Negermädchen oder eine Nachricht von Nina. Am Wochenende hatte Dr. Hartman sämtliche Krankenhäuser, Pflegeheime und medizinischen Zentren besucht, die über die Möglichkeiten einer

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