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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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hatte, und ich verteilte meine Aufmerksamkeit auf meine neue Familie, Miß Sewells begrenzte Sinneseindrücke von kaltem Stein und dem menschenleeren Korridor, Justins gründliche Beobachtung von Ninas Handlangerin und die letzten, schwächsten Anklänge im Verstand unseres neuen Freundes auf See. Diesen letzten Kontakt aufrechtzuerhalten fiel mir bei weitem am schwersten - nicht nur aufgrund der Entfernung, denn seit meiner Kindheit war Entfernung kaum mehr ein Hindernis -, sondern weil die Verbindung subtil und unmerklich sein mußte, bis zu dem Augenblick, wenn Nina etwas anderes befahl.
    Glaubte sie jedenfalls. Ich hatte die Herausforderung angenommen, weil es zu dem Zeitpunkt erforderlich gewesen war, Ninas Spiel mitzuspielen, und wegen ihrer einigermaßen kindischen Spöttelei, es wäre mir nicht möglich, so einen Kontakt mit jemandem herzustellen und aufrechtzuerhalten, den ich nur durch ein Fernglas gesehen hatte. Jetzt hatte ich es bewiesen, daher war es nicht eben erforderlich, Ninas Pläne auch weiterhin zu unterstützen. Zumal ich inzwischen bei weitem besser begriff, welche engen Grenzen der Tod ihrer >Gabe< gesetzt hatte. Ich bezweifle, daß sie vor unserem Zwist vor sechs Monaten in Charleston jemand über eine Entfernung von zweihundert Meilen hätte >benützen< können, aber ich war vollkommen sicher, daß sie ihre Schwäche nicht preisgegeben oder sich in eine Situation begeben hätte, in der sie in irgendeiner Weise von mir abhängig gewesen wäre.
    So, wie sie jetzt von mir abhängig war. Die Negerin saß in meinem Salon und trug einen seltsam unförmigen Pullover über ihrem geschmacklosen Kleid, und Nina war in jeder praktischen Hinsicht blind und taub. Was immer sich auf der Insel abspielen würde, konnte sie nur erfahren, wenn ich es ihr sagte, davon war ich immer mehr überzeugt. Ich glaubte ihr kein Wort, wenn sie behauptete, daß sie uneingeschränkte Kontrolle über den Handlanger namens Saul hatte. Während der Bootsfahrt hatte ich einen winzigen Sekundenbruchteil seinen Verstand gestreift und dabei durchaus die Resonanzen von jemandem gespürt, der >benützt< worden war - und zwar irgendwann in der Vergangenheit einmal drastisch >benützt< -, und daneben noch etwas anderes, etwas Vielschichtiges und Latentes und potentiell Gefährliches, als hätte Nina seinen Verstand auf eine unerklärliche Weise zur Falle gemacht, aber ich spürte auch, daß diese Person gegenwärtig nicht unter ihrer Kontrolle stand.
    Ich wußte, wie begrenzt die Nützlichkeit auch des meisterhaft konditioniertesten Handlangers war, wenn sich die Umstände änderten oder unerwartete Schwierigkeiten auftauchten. In den zurückliegenden Jahren hatte von unserem fröhlichen Trio ich die Ehre gehabt, die stärkste >Gabe< zu besitzen, wenn es darum ging, meine Leute zu konditionieren. Nina hatte mich immer verspottet, das läge daran, daß ich Angst davor hätte, neue Eroberungen zu machen; Willi hatte sich stets verächtlich über jede Form von langfristiger Beziehung geäußert und mit derselben verächtlichen Gleichgültigkeit einen Handlanger nach dem anderen gewählt, wie er seine Bettgenossen ausgewählt hatte.
    Nein, Nina würde eine große Enttäuschung erleben, wenn sie hoffte, sie könnte einzig und allein durch ein konditioniertes Instrument etwas auf der Insel ausrichten. Und an dieser Stelle spürte ich, wie sich das Gleichgewicht zwischen uns verschob nach all den Jahren! -, so daß es an mir sein würde, den nächsten Zug zu machen, wenn mir Zeit und Ort und Umstände geeignet erschienen.
    Aber ich wollte so sehr wissen, wo sich Nina aufhielt.
    Die Negerin saß in meinem Salon - im Salon! Vater wäre gestorben! -, trank ihren Tee und war sich der Tatsache nicht bewußt, daß ich dieses spezielle farbige Instrument meiner Demütigung, sobald ich den Aufenthaltsort von Nina herausgefunden hatte, auf eine Art und Weise eliminieren würde, bei der selbst Nina von meiner Originalität beeindruckt sein würde.
    Ich konnte warten. Mit jeder Stunde wurde meine Position gestärkt und die von Nina geschwächt.
    Die Großvateruhr in der Diele hatte gerade elf geschlagen, Justin war am Eindösen, als die Gefängniswärter in ihren einförmigen Overalls die Eisentür am Ende des Korridors aufrissen und hydraulisch die Gitterstäbe von fünf Zellen hochzogen. Miß Sewells Zelle wurde nicht geöffnet, ebensowenig die von Ninas Handlanger in der Nische darüber.
    Ich sah, wie vier Männer und eine Frau vorbeigingen, die

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