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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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nicht an den abendlichen Gesprächen teil.
    Barent und Kepler hatten Wetten um über zehntausend Dollar auf den Ausgang des Spiels der vergangenen Nacht abgeschlossen, die sie heute abend verdoppelten. Alle waren sich darin einig, daß die Einsätze ungewöhnlich hoch und der Wettkampf ungewöhnlich erbittert für die zweite Nacht des Turniers waren.
    Der Sonnenuntergang am Montagabend war wolkenverhangen, und Barent verkündete, daß das Barometer rapide fiel und ein Sturm von Südosten angekündigt war. Um 22 Uhr 30 standen sie vom Eßtisch auf, ließen Leibwächter und Wachpersonal zurück und fuhren mit dem teakholzgetäfelten Fahrstuhl zum Spielzimmer.
    Hinter der verschlossenen Tür schien das Licht der großen Hängelampe auf den großen, grünen Tisch und verwandelte die fünf Gesichter in schattenhafte Masken. Durch das lange Fenster konnte man Blitze über den Horizont zucken sehen. Barent hatte befohlen, daß Flutlicht und Scheinwerfer der Gärten abgeschaltet wurden, damit nichts die Pracht des Sturms beeinträchtigte, nun waren aller Augen auf die Blitze gerichtet, bis Barent sagte: »Die Leuchtkugel wird in dreißig Sekunden abgefeuert. Nach diesem Signal fangen wir an.«
    Vier von ihnen machten mit erwartungsvollen Gesichtern die Augen zu. Harod drehte sich um und betrachtete die weißen Blitze im Südosten, die die Silhouetten der Bäume an der Live Oak Lane hervorhoben und das Innere der blauschwarzen Sturmwolken selbst erhellten.
    Er hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn sie die Gitter der Zelle entfernten, in der der Jude namens Saul untergebracht war. Harod hatte nicht die Absicht, in das Denken des Mannes einzudringen, und ohne Surrogat würde er nichts von den Ereignissen der Nacht mitbekommen Das war Harod ganz recht. Was immer vor sich ging, wer immer das sprichwörtliche Blatt mischte, indem er den Juden ins Spiel brachte, wie immer sie planten, ihren Vorteil zu nutzen, das alles war Harod von Herzen einerlei. Er wußte, daß er mit den Geschehnissen der nächsten sechs Stunden nichts zu tun haben, daß er bei diesem Spiel vollkommen aussetzen würde Dessen war er ganz sicher.
    Harod hatte sich noch nie im Leben so geirrt.

65. Kapitel
     
    Dolmann Island: Montag, 15. Juni 1981
     
    Saul war mehr als vierundzwanzig Stunden in der winzigen Zelle eingesperrt, als dn Mechanismus in den Steinmauern surrte und die Stahlgitterstäbe in die Höhe glitten. Einen Augenblick wußte er nicht, was er tun sollte.
    Er war seltsam gelassen in seinem Gefängnis gewesen, fast zufrieden, als wären vierzig überflüssige Jahre von ihm abgefallen und er zu den essentiellen Augenblicken seines Lebens zurückgekehrt. Zwanzig Stunden lag er in der kalten Felsnische und dachte über das Leben nach, erinnerte sich in allen Einzelheiten an seine Abendspaziergänge mit Natalie in der Nähe der Farm in Caesarea, an das Sonnenlicht auf Sand und Lehmziegeln und an die trägen grünen Wellen des Mittelmeers. Er erinnerte sich an Gespräche und Gelächter, Vertraulichkeiten und Tränen, und wenn er einschlief, kamen die Träume augenblicklich und trugen ihn zu anderen Bestätigungen des Lebens im Angesicht brutaler Selbstverleugnung.
    Wachen schoben zweimal täglich Essen durch den Schlitz, und Saul aß es. Auf den flachen Plastiktabletts standen dehydrierte, gefriergetrocknete Stews, Fleisch und Nudeln. Astronautenessen. Saul verschwendete keinen Gedanken an die Ironie, daß Mahlzeiten für Space Shuttles in Sklavenpferchen aus dem siebzehnten Jahrhundert serviert wurden; er aß alles, trank das Wasser und machte weiter seine Übungen, damit seine Muskeln sich nicht verkrampften und sein Körper nicht unterkühlte.
    Seine einzige große Sorge galt Natalie. Sie hatten beide seit Monaten gewußt, was sie tun mußten und wie allein sie dabei sein würden, aber der tatsächliche Abschied hatte den Beigeschmack des Endgültigen gehabt. Saul dachte an das Sonnenlicht auf dem Rücken seines Vaters, an Josefs Arm über der Schulter seines Vaters.
    Saul lag in der Dunkelheit, die nach vier Jahrhunderten Angst roch, und dachte über Tapferkeit nach. Er dachte an die afrikanischen und amerikanischen Ureinwohner, die in eben diesen Steinkäfigen gelegen und - wie er - den Geruch menschlicher Hoffnungslosigkeit eingeatmet hatten, ohne zu wissen, daß sie obsiegen, daß ihre Nachkommen das Licht und die Freiheit und die Würde für sich beanspruchen würden, die denjenigen verweigert wurden, die hier in Ketten auf den Tod

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