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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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kommenden Monaten und Jahren mit der Unsicherheit leben müssen, was diese Gruppe meinetwegen entscheiden würde.
    Und so hatte ich mich trotz des kleinen Dramas der vergangenen halben Stunde im Kreis gedreht und befand mich wieder in einem Zustand unbehaglicher Allianz mit Ninas Negerin - wie in den vergangenen paar Wochen.
    »Nun gut«, seufzte ich.
    »Jetzt«, sagte das Mädchen.
    »Ja, ja, ja«, murmelte ich. Justin erstarrte in Reglosigkeit. Meine Familie wurde zu Statuen. Ich rieb das Zahnfleisch aufeinander, als ich die Kiefer aufeinander biß, die Augen zumachte und mich angestrengt konzentrierte.
    Miß Sewell sah auf, als die schwere Tür am anderen Ende des Korridors aufgerissen wurde. Der Wachmann, der dort auf einem Hocker saß, schnellte in die Höhe, als Willis Neger eintrat. Der Mann hob eine Maschinenpistole. Der Neger nahm sie ihm weg, schlug ihm die flache Hand aufs Gesicht, drückte die Nase des Mannes platt und trieb Knochensplitter ins Gehirn.
    Der Neger griff in die Kabine und drückte einen Schalter. Die Gitterstäbe glitten in die Höhe, und während sich die anderen Gefangenen in ihren Nischen zusammenkauerten, stieg Miß Sewell hinaus, streckte sich, um den Blutkreislauf anzuregen, und drehte sich zu dem farbigen Mann um.
    »Hallo, Melanie«, sagte er.
    »Guten Abend, Willi«, sagte ich.
    »Ich wußte, daß du es bist«, sagte er leise. »Es ist unglaublich, wie wir einander in allen Verkleidungen und nach all diesen Jahren erkennen, nicht wahr ?«
    »Ja«, sagte ich. »Würdest du dieser hier etwas zum Anziehen besorgen? Es ist nicht richtig, daß sie so nackt hier steht.«
    Willis Neger grinste, nickte aber, streckte die Hand aus und riß dem toten Wachmann das Hemd vom Leib. Er legte es über Miß Sewells Schultern. Ich konzentrierte mich darauf, die beiden verbliebenen Knöpfe zuzumachen. »Wirst du mich mit in das große Haus nehmen?« fragte ich.
    »Ja.«
    »Ist Nina dort, Willi?«
    Der Neger runzelte die Stirn und zog eine Braue in die Höhe. »Rechnest du denn damit, daß sie dort ist?« fragte er.
    »Nein.«
    »Es werden andere da sein«, sagte er und ließ den farbigen Mann wieder lächeln.
    »Mr. Barent«, sagte ich. »Sutter ... und die anderen des Island Club.«
    Willis Handlanger lachte von Herzen. »Melanie, Liebste«, sagte er, »es gelingt dir immer wieder, mich in Erstaunen zu setzen. Du weißt nichts, aber dennoch gelingt es dir immer wieder, alles zu wissen.«
    Ich verzog Miß Sewells Gesicht zu einem leichten Schmollen. »Sei nicht unfreundlich«, sagte ich zu Willi. »Das steht dir nicht zu Gesicht.«
    Er lachte wieder. »Ja, ja«, brummte er. »Keine Unfreundlichkeit heute nacht. Es ist uiser letztes >Wiedersehen<, Liebchen. Komm, die anderen warten.«
    Ich folgte ihm durch Korridore und in die Nacht hinaus. Wir sahen keine anderen Wachen mehr, aber ich wahrte meinen Kontakt mit dem Mann, der immer noch vor den Büros stand.
    Wir passierten einen hohen Zaun, wo der Leichnam eines Wachmannes noch brutzelte und schmorte und mit ausgebreiteten Gliedmaßen an dem Starkstromzaun klebte. Ich sah blasse
    Gestalten durch die Dunkelheit huschen, als die anderen Gefangenen in die Nacht hinausflohen. Oben asten die Sturmwolken dahin. Der Sturm kam immer näher. »Die Leute, die mir weh getan haben, werden heute nacht dafür bezahlen, oder nicht, Willi?« sagte ich.
    »O ja«, knurrte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »O ja, Melanie, meine Liebste, wahrhaftig.«
    Wir gingen zu dem beleuchteten großen Haus. Ich ließ Justin mit dem Finger auf Ninas Negerin deuten. »Du hast es so gewollt!« schrie ich sie mit der schrillen Stimme des Sechsjährigen an. »Du hast es so gewollt. Jetzt paß nur auf!«
     

67. Kapitel
     
    Dolmann Island: Dienstag, 16. Juni 1981
     
    Saul hatte noch nie einen derartigen Regen erlebt. Als er am Strand entlangsprintete, stürzten die Wassermassen herab, daß er glaubte, sie würden ihn auf dem Sand zerquetschen wie ein solider Vorhang einen Schauspieler, der sich nicht auf seine Markierung gestellt hatte. Die Scheinwerfer, die von den Booten jenseits der Brandung und von dem Helikopter leuchteten, konnten nur Schwaden des Wolkenbruchs anstrahlen, die wie Leuchtspurmunition im Dunkeln funkelten. Saul rannte, schlitterte mit den Füßen auf Sand dahin, dem die Regenmassen die Beschaffenheit von zähem Schlamm verliehen hatten, und konzentrierte sich darauf, nicht auszurutschen und hinzufallen, weil er sich auf eine seltsame Weise darüber

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