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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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war fünf Meter entfernt. Ein zerfetzter Sonnenschirm wurde vom Luftzug ihres Propellers fortgerissen.
    Meeks brachte die Maschine bergab gerichtet zum Stillstand. Natalie war sich sicher, daß sie schon auf Skipisten gestanden hatte, die nicht so steil gewesen waren. Ihr Pilot nahm die Zigarre aus dem Mund und sah sie an, als hätte er eben erst herausgefunden, daß sie nicht angezündet war. »Alle raus zur Pinkelpause«, sagte er. »Wer in fünf Minuten oder beim ersten
    Anzeichen von Kampfhandlungen nicht hier ist, muß zu Fuß nach Hause.« Er zog einen 38er mit Perlmuttgriff aus dem Halfter, das zwischen den Sitzen lag, und hielt sich den Lauf wie salutierend an die Stirn. »Viva la revolütion!«
    »Kommen Sie«, sagte Natalie, die sich bemühte, die Tür zu öffnen und den Sicherheitsgurt zu lösen. Sie fiel fast aus dem Flugzeug, ließ die Handtasche fallen und verstauchte sich um ein Haar den Knöchel. Sie zog den 32er Colt heraus, ließ den Rest liegen und trat beiseite, als Jackson heruntergesprungen kam. Er trug nur seine Arzttasche und eine Taschenlampe, hatte sich aber ein rotes Tuch um die Stirn gebunden.
    »Wohin?« rief er iber den Lärm des noch kreisenden Propellers hinweg. »Wahrscheinlich hat man unsere Ankunft bemerkt. Wir sollten uns besser beeilen.«
    Natalie nickte zum großen Saal. In diesem Teil des Herrenhauses war das elektrische Licht ausgefallen, aber im orangefarbenen Widerschein eines Feuers waren vage Gestalten im rauchverhangenen Halbdunkel hinter der geborstenen Verandatür zu erkennen. Jackson bahnte sich einen Weg über die verstreuten Platten der Veranda, trat die zersplitterte Haupttür auf und schaltete die leistungsstarke Taschenlampe ein. Der Lichtstrahl bohrte sich durch dichten Rauch und zeigte ein riesiges, gefliestes Areal mit Glasscherben und Verputztrümmern. Natalie trat vor Jackson und hielt den Colt hoch. Sie hielt sich ein Taschentuch vor Mund und Nase, damit sie im Rauch besser atmen konnte. Weit links, jenseits eines geräumten Teils des großen Saals, standen zwei Tische mit Essen und Trinken und einem Durcheinander elektronischer Ausrüstung. Zwischen der Tür und den Tischen lagen Bündel getragener Wäsche, wie Natalie zuerst glaubte, bis ihr bewußt wurde, daß es sich um Leichen handelte. Jackson hielt die Lampe hoch und ging vorsichtig zur ersten. Der Lichtstrahl zeigte das tote Gesicht der wunderschönen Eurasierin, die bei Tony Harod im Auto gewesen war, als sich Saul vor drei Tagen mit ihm in Savannah getroffen hatte.
    »Leuchtet ihr nicht so in die Augen«, sagte eine bekannte Stimme aus der Dunkelheit links von ihr. Natalie duckte sich und schwang die Waffe, während Jackson die Taschenlampe in Richtung der Stimme hielt. Harod saß mit überkreuzten Beinen neben einem umgekippten Stuhl auf dem Boden, in seiner Nähe lagen noch mehr Leichen. Er hatte eine halbleere Weinflasche auf dem Schoß.
    Natalie kam an Jacksons Seite, bat um die Taschenlampe und gab ihm den Colt. »Er >benützt< nur Frauen«, sagte sie und deutete auf Harod. »Wenn er eine Bewegung macht oder sich verdächtig benimmt, erschießen Sie ihn.«
    Harold schüttelte verdrossen den Kopf und trank einen großen Schluck Wein. »Das ist vorbei«, nuschelte er. »Aus und vorbei.«
    Natalie sah auf. Sie konnte die Sterne durch das zertrümmerte Dach drei Stockwerke weiter oben sehen. Wie es sich anhörte, arbeitete irgendwo eine automatische Sprinkleranlage, aber das Feuer schien sich dennoch im ersten und zweiten Stock auszubreiten. In der Ferne konnte sie das Rattern von Handfeuerwaffen hören.
    »Sehen Sie!« rief Jackson. Die Taschenlampe schien auf drei Leichen neben dem massiven Stuhl.
    »Saul!« schrie Natalie und stürmte zu ihm. »O Gott, Jackson! Ist er tot? O Gott, Saul.« Sie rollte ihn von dem anderen Leichnam und löste Sauls Hände vom Hemd des Mannes. Sie wußte gleich, daß es sich bei dem toten Mann um den Standartenführer handeln mußte - Saul hatte ihr Zeitungsfotos von >William Borden< aus seinen Unterlagen gezeigt, aber das verzerrte Gesicht und die aufgequollenen Augen sowie die zu Krallen geformten leberfleckigen Hände schienen nichts Menschliches an sich zu haben und wirkten fast unkenntlich. Es war, als hätte Saul auf dem Leichnam eines verkrümmten, mumifizierten Dings gelegen.
    Jackson kniete sich neben Saul und fühlte den Puls, zog ein Lid hoch und hielt die Taschenlampe dicht darüber. Natalie konnte nur Blut sehen; Blut bedeckte Sauls Gesicht und

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