Kraft des Bösen
Schultern, Arme, Hals und Kleidung. Sie sah auf den ersten Blick, daß er tot war.
»Er lebt«, sagte Jackson. »Ich spüre den Puls. Schwach, aber noch da.« Er riß Sauls Overall auf, drehte den Psychiater behutsam herum und glitt mit dem Lichtstrahl an der ganzen Länge seines Körpers hinab. Jackson klappte seine Tasche auf, bereitete eine Spritze vor, stieß sie Saul in den linken Arm, tupfte ihm den Rücken ab und legte einen Verband an. »Großer Gott«, sagte er. »Er ist zweimal angeschossen worden. Am Bein, das ist nicht schlimm, aber wir müssen die Blutung am Rücken stillen. Und jemand hat ihn gehörig an der Hand und am Hals bearbeitet.« Er sah zu den Flammen hinauf. »Wir müssen hier raus, Nat. Ich gebe ihm im Flugzeug Plasma. Helfen Sie mir mal, ja?«
Saul stöhnte, als sie ihn aufrichteten. Jackson griff ihm unter den linken Arm und hob ihn linkisch hoch.
»He«, sagte Harod aus der Dunkelheit. »Kann ich mitkommen?«
Natalie ließ fast die Taschenlampe fallen, so sehr beeilte sie sich, den Colt aufzuheben, den Jackson auf dem Boden liegengelassen hatte. Sie drückte ihm die Waffe in die linke Hand und stützte Saul, damit Jackson den Arm freimachen konnte. »Er wird mich benützen, Jax«, sagte sie. »Erschießen Sie ihn.«
»Nein.« Saul hatte es gesagt. Seine Lider flatterten. »Hat mir geholfen«, krächzte er und nickte mit dem Kopf in Harods Richtung. Ein Auge war von getrocknetem Blut verklebt, aber das andere schlug er auf und sah Natalie ins Gesicht. »He«, sagte er leise, »was hat Sie aufgehalten?« Als er zu lächeln versuchte, wollte Natalie in Tränen ausbrechen. Sie wollte ihn umarmen, ließ es aber sein, als sie bemerkte, wie er zusammenzuckte, als sie auf seine Rippen drückte.
»Gehen wir«, sagte Jackson. Das Rattern des Gewehrfeuers kam näher.
Natalie nickte und schwenkte den Strahl der Taschenlampe zum letztenmal durch den großen Saal. Die Flammen waren jetzt näher gekommen, das Feuer griff auf die verbundenen Korridore des ersten Stocks über, und das helle rote Leuchten verwandelte die Szene in eine von Hieronymus Boschs Visionen der Hölle - die Glasscherben glommen wie die Augen einer unfaßbaren Zahl von Dämonen in der Dunkelheit. Sie sah ein letztes Mal den Leichnam des Standartenführers an, der im Tod zu einem Nichts geschrumpft war. »Gehen wir«, stimmte sie zu.
Auf dem Hügel waren auch die verbliebenen drei Flutlichter erloschen. Natalie ging mit der Taschenlampe und dem Colt voraus, während Jackson Saul stützte. Der Psychiater hatte wieder das Bewußtsein verloren, da waren sie noch nicht zur Verandatür draußen gewesen. Die Cessna stand noch da, der Propeller drehte sich noch, aber der Pilot war fort.
»O Gott«, hauchte Natalie und leuchtete mit der Taschenlampe auf den Rücksitz und den Boden um das Flugzeug herum.
»Können Sie dieses Ding fliegen?« fragte Jackson, während er Saul auf die gepolsterte Rückbank beförderte und sich neben ihn kauerte. Er riß bereits sterile Verpackungen auf und bereitete das Plasma vor.
»Nein«, sagte Natalie. Sie sah bergab. Die behelfsmäßige Rollbahn lag jetzt in völliger Dunkelheit. Ihre von der Taschenlampe geblendeten Augen konnten nicht einmal erkennen, wo die Bäume anfingen.
Von unten ertönte ein keuchendes, schnaufendes Geräusch, und Natalie hielt die Taschenlampe mit der linken Hand und stützte den Colt mit der rechten auf der Verstrebung ab. Daryl Meeks hob eine Hand gegen das Licht, bückte sich und japste und keuchte.
»Wo waren Sie?« wollte Natalie wissen und senkte die Taschenlampe.
Meeks wollte etwas sagen, spie aus, keuchte einen Augenblick und sagte: »Die Lichter sind ausgegangen.«
»Das wissen wir. Wo .«
»Steigen Sie ein«, sagte Meeks und wischte sich das Gesicht mit seiner YOKOHAMA-TAIYO-WHALES-Baseballmütze ab.
Natalie nickte und lief um das Flugzeug herum, damit sie auf ihrer Seite einsteigen konnte, statt an den Kontrollen vorbeizukriechen und das Risiko einzugehen, daß sie die Handbremse oder etwas Ähnliches löste. Tony Harod wartete auf der anderen Seite unter der Tragfläche.
»Bitte«, winselte er. »Sie müssen mich mitnehmen. Ich habe sein Leben wirklich gerettet. Ehrlich. Bitte.«
Natalie spürte den leisesten Hauch von etwas in ihr Bewußtsein eindringen, wie eine verstohlene Hand im Dunkeln, aber darauf hatte sie gar nicht gewartet. Sie war näher zu ihm gegangen, sobald Harod zu sprechen angefangen hatte, und jetzt trat sie ihm mit so viel Schwung,
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