Kramp, Ralf (Hrsg)
Unterarmen richteten sich auf. Ein untrügliches Zeichen. Hinter seiner Stirn kribbelte es. Er zog die Augenbrauen zusammen, hielt die Luft an, aber es nützte nichts. Ein gewaltiger Nieser explodierte in seiner Nase und hob ihn halb aus dem Sitz. Verdammte Katzenallergie.
»Soll ich den Kater lieber rausschicken?« Frau Näckel, ihres Zeichens Alleinherrscherin im Friseursalon Müller in Kelberg, riss die Augen auf. Mit einigen raschen Handgriffen hantierte sie an einer aprikosenfarbenen Trockenhaube, unter der der Kopf einer anderen Kundin komplett verschwand, und kam zu ihm. »Haben Sie eine Allergie?« Sie klang ehrlich besorgt. Heinzwerner schüttelte den Kopf und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Willi. Jetzt fiel es Heinzwerner wieder ein. Der zum Friseursalon gehörende Kater hieß Willi. Eigentlich nicht schwer zu behalten. Sein Schwager trug den gleichen Namen. Giselas Bruder Willi. Den konnte er auch nicht leiden. Und eine gewisse Ähnlichkeit vor allem um die gewaltige Körpermitte herum war nicht abzustreiten. »Da hat man wenigstens was zum Anpacken« war Giselas Standardspruch zum Thema, wenn sie wieder an seiner hageren Gestalt herummäkelte. Sie hatte zu vielen Themen Standardsprüche, die sie ihrer Umwelt großzügig mitteilte, auch wenn niemand, und vor allem nicht er, sie hören wollte. Gisela atmete, indem sie redete. Und umgekehrt. Vom ersten Sonnenstrahl bis zur letzten nächtlichen Fernsehwerbung floss ein unermüdlicher Strom an Worten aus ihr heraus, überflutete sein Leben, bis er schließlich darin ertrank. Auch hatte Gisela einen unseligen Hang zu allem, was auf vier Beinen daher kam. Vom Hamster bis zum Schaf hatte er im Laufe der dreißig Ehejahre alles erdulden müssen, was irgendwie in Haus, Garten oder Garage gepasst hatte. »Gequälte Kreaturen« hatte Gisela das Viehzeug bedauert, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, wie sehr sie ihn damit peinigte. Er war sich sicher, dass sich Gisela, wenn sie jetzt hier wäre, Willi sofort an den Hals schmeißen und ihn umgurren würde. Ohne Rücksicht und blind für seine Tierhaarallergie.
Aber diese Art des Leides hatte nun ein endgültiges Ende gefunden, gemeinsam mit Gisela. Sie ruhte tief auf dem Grund eines Moors, ganz hier in der Nähe. Bei diesem Gedanken ging es Heinzwerner schlagartig besser, und er fühlte sich befreit. Das, was ihn in naher Zukunft erwartete, hatte zwar auch mit Leid zu tun, aber anders. Oh, süßer Schmerz, seufzte er in Gedanken und rutschte ein wenig auf dem Friseurstuhl umher.
Es hatte ihn überrascht, wie leicht die Sache vonstattengegangen war und wie wenig Mühe es ihn gekostet hatte. Seiner akribischen Planung sei Dank. Er kontrollierte sein Handy. Kein Empfang. Richtig. Er befand sich ja in der Eifel.
»Dann kommen Sie mal mit mir«, riss Frau Näckel ihn aus seinen Gedanken und streckte ihm die Hand entgegen. »Was haben Sie sich denn so vorgestellt?« Heinzwerner versenkte das Telefon in der Hosentasche. Dann folgte er ihr, ließ sich auf den Stuhl plumpsen und reckte das Kinn in die Höhe, damit sie den Frisierumhang schließen konnte.
»Vorgestellt?« Ratlos sah er sie im Spiegel an. Er hatte sich zwar im Vorfeld eine ganze Menge ausgemalt, vor allem wie es sein würde, wenn er endlich frei sein würde für Natascha. Was sie dann tun würden. Oder vielmehr, was
sie
dann
mit ihm
tun würde. Aber welche Frisur er dann tragen würde, hatte bisher nur eine untergeordnete Rolle bei seinen Planungen gespielt.
»An welchen Schnitt hatten Sie denn gedacht?« Die Friseurin fuhr mit allen zehn Fingern durch seine Haare. »Kürzer?« Heinzwerner nickte.
»Und flotter«, ergänzte er. Flotter war gut. Flotter machte jünger. Und jünger war noch besser. Die Kundin neben ihm hustete und steckte ihre Nase tiefer in die zeitschrift. Ein schwacher Duft von Färbemittel zog in seine Nase. Wieder musste er niesen. Heinzwerner sah auf die Uhr. In zwei Stunden war es soweit, dann würde er sie endlich treffen. Natascha. Die Frau seiner Träume. Der Traum seiner schlaflosen Nächte. Bisher hatte er ihr kein Bild von sich geschickt. Nicht, weil er glaubte, sie könne enttäuscht sein, nein, nein. Er hatte sich für seine Zweiundsechzig wunderbar gehalten und konnte, wie er fand, locker für zweiundvierzig durchgehen. Im Gegensatz zu Gisela. Die hatte das nicht gefunden. Dabei hatte der Zahn der Zeit an ihr nicht nur genagt, sondern gerissen. Wobei das Bild unglücklich gewählt war, denn vom
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