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Kramp, Ralf (Hrsg)

Kramp, Ralf (Hrsg)

Titel: Kramp, Ralf (Hrsg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatort Eifel 4
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Bücher liest, dann hast du vielleicht auch eins geschrieben, oder?«
    »Ja, habe ich«, gab er zur Antwort. »Es heißt
Walther von der Vogelweide – Seine möglichen Realitäten
. Aber das ist eine Ewigkeit her.«
    »Ja, sowas!«, murmelte sie matt, aber voll Anerkennung.
    Alschowski fragte nicht nach, sondern wartete auf weitere Erklärungen.
    Die Alte sprach leicht geziert: »Wir kamen aus Berlin, ich und meine Eltern. Das war im März fünfundvierzig, die Schweinerei war noch nicht ganz zu Ende. Wir landeten hier, und mein Vater starb dann an Tuberkulose. So war das damals.«
    Sie hatte ein rosiges Gesicht wie ein Mädchen. Sie hatte hellblaue Augen, die sehr aufmerksam und erstaunlich jung wirkten. Das Gesicht war ein langes Oval mit einem sinnlich geformten Mund. Ihre Haare waren lang und schimmerten silbern, sie hatte sie im Nacken zu einem hübschen Dutt geformt. Sie trug ein Nachthemd in einem sanften Rosa mit Rüschen am Ausschnitt. Das Erstaunlichste für Alschowski: Sie schien auf rätselhafte Weise in heller Heiterkeit zu schwimmen, sie war eindeutig bestens gelaunt, obwohl sie doch alt und krank war und dieses monströse Bett offensichtlich nicht verlassen konnte.
    »Ich bin jetzt zweiundachtzig«, murmelte sie und setzte hinzu: »Ich will hundert Jahre alt werden.«
    »Das ist ein sehr schönes ziel, ja, ja«, nickte Alschowski, nur um etwas zu sagen. »Aber, was soll das da alles?« Dabei zeigte er schüchtern auf die Beistelltische.
    »Es ist wegen Otto«, sagte sie und deutete vage auf die beiden Fenster zur Straße hin.
    Sie lag in einem gewaltigen Klinikbett, mit all den unbegrenzten Möglichkeiten, jeden Teil des Bettes durch Motoren zu bewegen. Die ganze Szenerie wirkte wie ein Kommandostand. Olga lag eigentlich nicht, sie saß. Und sie hatte rechts und links Beistelltische, die sie sich vor den Bauch ziehen konnte. Auf dem linken stand eine große Kanne Pfefferminztee, Alschowski roch das. Ein Becher, eine Tageszeitung, eine Illustrierte, eine Tafel Schokolade, eine Schachtel Pralinen, ein Notizblock mit einem Kugelschreiber, das
Neue Testament
, zwei Handys.
    Der rechte Beistelltisch verwirrte Alschowski. Er sah drei Kameras, vier große, eindrucksvolle Objektive, die wie Geschosse wirkten. Zwei Ferngläser. Das alles sorgfältig nebeneinander aufgereiht wie die griffbereiten Instrumente bei einem zahnarzt.
    Alschowski wollte also höflich nach Otto fragen, aber sie erklärte sofort: »Otto wohnt da drüben in dem Haus schräg gegenüber. Er ist so alt wie ich. Er war immer schon ein Individuum voller Aggressionen, ein Schmutzfink, will ich sagen, als Junge schon. Ich nehme an, er fischt irgendwo in einer Stadt, zum Beispiel in Frankfurt, die billigste Nutte von der Straße, setzt sie in sein Auto, legt eine Decke über sie und bringt sie hierher. Dann tötet er sie, oder er tötet sie schon unterwegs. Das weiß ich nicht genau, aber ich schätze, er muss bis jetzt mindestens drei Frauen getötet haben. So oft habe ich die Decke auf dem Nebensitz gesehen. Die Decke ist grellrot und fällt enorm auf, aber ...«
    »Moment, Moment«, unterbrach Alschowski sie mit sanftem Lächeln. »Da werde ich fragen dürfen: Leben die Damen denn noch? Oder bluten sie gerade aus? Oder haben sie einen Knebel im Mund und sitzen gemütlich bei einem munteren Geplauder und Käsekuchen im Kartoffelkeller? Was soll denn dieser Scheiß?«
    »Du musst es ja nicht glauben«, sagte sie heiter und war nicht im Geringsten beleidigt. »Aber er war schon immer ein schmutziger Mann. Wenn ich ihn an meiner Möse rumfummeln ließ, kriegte ich ein Butterbrot mit Mettwurst, damals, als wir nichts zu essen hatten. Da war ich zehn. Manchmal auch zwei halbe Brötchen mit Erdbeermarmelade und selbstgemachter Butter. Später, als wir beide erwachsen waren, sagte ich ihm, er sei ein Schwein. Da ließ es ein bisschen nach. Obwohl er immer noch alle möglichen Dinge von mir wollte. Perverse Sachen mit dem Mund, wenn du verstehst, was ich meine. Und er hat immer wieder Kinder aus dem Dorf angegrabscht. Das weiß ich von den Kindern. Die kriegen Überraschungseier geschenkt, wenn er ihnen ins Höschen greifen darf.«
    »Ich verstehe nichts von perversen Sachen«, bemerkte Alschowski abwehrend, der sich sehr gut vorstellen konnte, was Olga meinte. Alschowski war im Grunde an seinem unstillbaren Hang zu erstklassigem Rotwein und neugierigen, wilden, jungen Frauen gescheitert. Da einige dieser Frauen verheiratet gewesen waren, hatte

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