Kramp, Ralf (Hrsg)
an den Mund gehalten, schrill und verzerrt hat ihre Stimme gepfiffen, gestolpert ist sie, über die eigenen Füße oder über das Kabel. Das hat Felix nicht gesehen, nur das Sektglas, das gefährlich nah an sein Keyboard kam, das hat er im Blick gehabt, und das hat er ihr aus der Hand geschlagen. Er hat das Glas splittern und Tamara kreischen gehört, dann hat sie ihm eine geknallt. Der rotgesichtige Mann ist nach vorne gestürzt, hat Tamara an den Schultern gepackt, aber sie hat ihn abgeschüttelt, ist allein aus dem Raum gerannt. Automatisch hat Felix danach einen fröhlichen Evergreen angestimmt, zitternd sind seine Finger über die Tasten geflogen. Das Stück hat grauenvoll geklungen, das glühende Ohr ein leuchtendes Zeichen seiner Demütigung. Felix wäre am liebsten in Grund und Boden versunken. Doch die Erstarrung des Publikums hat sich schnell aufgelöst, zuhauf sind die Paare auf die Tanzfläche geströmt. Klar, hat Felix bitter gedacht. Immer so tun, als ob nichts passiert ist. Die beste Möglichkeit, einen peinlichen Aufritt zu übertünchen.
»Iss was, Felix, mach mal Pause«, sagt die Bräutigammutter und weist ihm einen Platz am Ende des Tisches zu. »Jetzt muss sowieso die Braut entführt werden. Hau kräftig rein, es ist genug von allem da, Krustenbraten, Sauerbraten, was du willst.« An Feisch mangelt es bei dieser Hochzeit nicht, von allem ist genügend da. Erika Maul weiß, wie man richtig auffährt.
Eine Pause hat er auch gestern gemacht, vielleicht eine Viertelstunde nach Tamaras Auftritt. Er ist nach draußen gegangen, die dreihundert Meter bis zum einsamen Parkplatz der Golfanlage gelaufen, er brauchte eine Zigarette, die er im Auto liegen gelassen hat. Natürlich hat er über Tamara nachgedacht. Strunzdummer Schlappschwanz hat sie ihn nie genannt, nicht mal, als er sie damals vor die Tür gesetzt hat. Woher dieser Hass nach all den Jahren? Hat der überhaupt ihm gegolten? Oder hat sie nur einen gebraucht, um ordentlich Dampf abzulassen? In seinem Kopf war er so sehr mit Tamara beschäftigt, dass es ihn nicht überrascht hat, sie neben seinem Auto zu sehen. Auch nicht, dass sie an diesem kühlen Herbstabend neben der Fahrertür auf dem Boden gesessen hat. Besoffene haben für so was ja kein Gespür. Wo er schon überall Besoffene gefunden hat nach seinen Auftritten: im Straßengraben, auf Heuballen, einen mal in einer Schubkarre. »Komm, steh auf, sonst holst du dir noch ’ne Lungenentzündung.« Er reicht ihr die Hand, sie reagiert nicht, er tippt sie leicht an, sie kippt um, und dann sieht er das Gesicht mit der heraushängenden Zunge und den weit geöffneten Augen und hat genau gewusst, dass an diesem Abend die Scheiße bergan läuft.
»Und, Felix, haste den gestrigen Abend gut überstanden?«
Felix zuckt über seinem Teller zusammen, gegessen hat er so gut wie nichts, der Magen immer noch voller Wackersteine, die Hand auf seiner Schulter schwer wie Blei. Robin, der Bräutigam, steht neben ihm. Stimmt, der kocht ja in den
Milan-Stuben
. Felix hat gehört, dass Erika Maul Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um ihren Robin dort unterzubringen. Natürlich hat sich die Szene mit Tamara schnell herumgesprochen, und inzwischen weiß wahrscheinlich jeder im Saal, dass er gestern Abend eine Ohrfeige kassiert hat. »Weißte, Robin, ich bin hart im Nehmen. Wenn ich immer, wenn mir einer blöd kommt, ausflippen würde, könnt ich meinen Job direkt an den Nagel hängen.«
»Haste wirklich mal was mit der gehabt?«
»Frag lieber, mit wem ich vor zwanzig Jahren nichts gehabt hab.«
»Stimmt. Sollst ja mal ein ziemlicher Weiberheld gewesen sein.«
»Is nicht mehr viel übrig davon. Jetzt stehen die Eifeler Mädchen eher auf Typen wie dich. Aber du bist ja jetzt unter der Haube.«
Robin leert mit gierigem Zug sein Bierglas und grinst schief. Von vielen Festen und Feiern weiß Felix, dass Robin nichts anbrennen lässt. Es hat ihn überrascht, dass Robin schon heiratet, aber Jenny Schmitz ist nicht nur ein hübsches Mädchen, sondern auch eine gute Partie, und vielleicht hat Erika auch ein bisschen gepuscht.
»Trink nicht so viel, Jung!«, weist sie jetzt ihren Sohn zurecht. Sie hat ihre Augen wirklich überall, da ist nichts, was ihr im Gemeindesaal entgeht. Missbilligend schaut sie auf das nicht angerührte Essen auf Felix’ Teller und sagt: »Kannst weiterspielen, wenn du sowieso nichts isst!«
Felix hat gestern Abend nicht denken können, nur handeln. Die Leiche in den Kofferraum,
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