Kramp, Ralf (Hrsg)
runter nach Berndorf, durch den Ort, dann hoch zum aufgelassenen alten Steinbruch. Der Weinberg ist ihm sofort eingefallen, dort ist er früher ein paar Mal mit Tamara zum Knutschen gewesen. Bei dem einsamen Bäckereischild hat er das Auto geparkt. Aus der großen Kuhle ist überraschend Nebel aufgestiegen und die Luft hat nach Verzweiflung gestunken, als er Tamara die paar Meter ins dichte Gestrüpp geschleppt hat. Hastig hat er ein paar welke Blätter über die Tote gescharrt, dann ist er wieder zum Golfplatz gefahren. Er war vor Ende der Pause zurück und hat sein Programm durchgespielt wie immer.
»Felix, jetzt wo die Braut und die Jungen weg sind, da kannste mal was für uns spielen«, reißt ihn die alte Emma Bell zurück in den Gemeindesaal. »Was vom Willi Ostermann, so was für’s Herz und zum Schunkeln. Das kannste doch so schön.«
Einmal am Rhein
stimmt er an und sieht, wie die Alten sich fröhlich unterhaken und mitsummen. Gut, dass er die alten Lieder im Schlaf singen und spielen kann.
Schlaf hat er gestern Nacht keinen gefunden. Die offenen Augen, die blaue Zunge und die Frage, wer Tamara umgebracht hat, haben ihn wach gehalten. Umgebracht ja, denn die Druckstellen am Hals kann sie sich nicht selbst beigebracht haben, da hat jemand so lange zugedrückt, bis es nicht mehr ging. Und ihm dann die Leiche ans Auto gelehnt. Jeder hat gewusst, dass das sein Auto ist. Die silbernen Notenschlüssel und der Schriftzug
Wumierlich-Musik
auf der Heckklappe leuchten auch in der Dunkelheit, das ist nicht zu übersehen. Werbemaßnahme. Eine Website hat er natürlich auch, geht nicht mehr anders. Es ist nicht so, dass die Straßen der Eifel mit Jobs für einen Alleinunterhalter gepflastert sind, eigentlich sind die Straßen der Eifel mit gar keinen Jobs gepflastert. Die Eifel war arm und bleibt arm, da können die Dörfer noch so schmuck aussehen. Manchmal hat er den Eindruck, dass in hundert Jahren keiner mehr hier wohnen wird, da doch die Jungen zum Arbeiten wegziehen müssen, so wie es auch Tamara getan hat, nachdem er sie vor die Tür gesetzt hatte. Aber er wollte nie hier weg, er braucht die sanften Hügel der Vulkaneifel genauso wie Wälder im Nebel und den Schnee bei Hollerath. Die Weite und die Luft und die Leute, deshalb ist er geblieben, deshalb die Werbung auf seinem Auto, an dem die tote Tamara lehnte.
Man hat sie mit Absicht an seinem Auto abgesetzt. Wenn er die Zigaretten im Auto nicht vergessen hätte, dann wäre Tamaras Leiche nach der Veranstaltung von einem der Gäste gefunden worden. Nicht nur wegen des Autos hätte man ihn sofort verdächtigt, schließlich haben alle Tamaras Auftritt mitgekriegt.
»Dat haste gut gemacht, Felix, aber jetzt brauch ich ein Päuschen«, schnauft die alte Emma Bell und lässt sich auf den nächsten Stuhl plumpsen. »Erzähl mal, wie isset dir? Hat die Mutter die Hüft-OP gut überstanden?«
Felix erzählt ein bisschen, um dann seinerseits nach Tamara Hermes zu fragen. Seit zwei Jahren ist sie zurück in der Eifel, weil sie eine Stelle bei Gerolsteiner gekriegt hat. Der Mann fährt zum Arbeiten immer nach Düsseldorf, kommt oft nur am Wochenende und dann spielen sie Golf. Ein Ruhiger ist er, höflich und freundlich, und die Tamara trägt er auf Händen, was sie ihm nicht immer dankt. »Nachwuchs haben sie ja keinen, vielleicht sticht die Tamara deshalb noch der Hafer«, tratscht die alte Bell. »Stell dir vor, Felix, auf der Kirmes hat sie den eigenen Mann früh nach Hause geschickt, und dann den jungen Männern schöne Augen gemacht. Gut ist das nicht, dass sie zurückgekommen ist. Die Männer rennen ihr wie läufige Hunde hinterher. Früher hätte man so eine als Hure aus dem Dorf gejagt.«
»Und heute bringt man sie um!« Felix kann gerade noch verhindern, dass dieser Satz über seine Lippen kommt. Er will mehr wissen, aber Genaueres weiß Emma Bell nicht oder sagt es nicht. Das weiß man nie genau bei den alten Eifeler Bäuerinnen. Vielleicht erzählt sie ihm mehr, wenn er sie in zwei Wochen noch mal fragt, aber die Zeit hat er nicht. Er muss schnell wissen, wer Tamara die Gurgel zugedrückt hat.
So sehr er es auch versucht, Felix kann sich das Gesicht von Tamaras Mann nicht mehr vorstellen. Er hat nur gesehen, dass es rot angelaufen ist, als sie schwankend mit dem Mikrofon auf der Bühne gestanden hat. Ob einer, der seine Frau auf Händen trägt, sie auch umbringt? Auch die Sanftesten können zum Mörder werden, man sieht einem Mörder ja nicht an, dass er
Weitere Kostenlose Bücher