Kramp, Ralf (Hrsg)
nirgendwo besser nachdenken kann als in diesen einsamen Weiten. Aber heute wird sein Gehirn nicht von der guten Eifelluft durchgepustet, die Angst hat ihn fest im Griff und vernebelt alles. Er weckt Jenny in Euskirchen, aber erst in Köln am Autobahnkreuz West ist sie ansprechbar.
»Haste denn gar nicht gemerkt, wer gefehlt hat?«, nuschelt sie, immer noch halb im Tran. »Der Jupp!«
Jupp Maul! Natürlich, unter normalen Umständen hätte er sofort gemerkt, dass Erikas Mann auf der Hochzeit fehlt, doch heute hat er gar nichts gemerkt und auch jetzt weiß er nicht, was der Jupp mit der Tamara zu schaffen hatte. Das erklärt ihm die Jenny dann stockend, aber einleuchtend.
Nachdem er sie am Kölner Hauptbahnhof in einen Nachtzug nach Berlin gesetzt hat, wo eine Kusine von ihr lebt, macht sich Felix Wunderlich auf den Rückweg. Es geht ihm besser, nachdem er die Großstadt und das Vorgebirge hinter sich gelassen hat. Als er bei Blankenheim von der Autobahn fährt, merkt er, dass sein Kopf frei wird.
Ja, so ergibt das alles einen Sinn, wenn man bei einem Mord überhaupt von Sinn sprechen kann. Er hat doch den Wagen der Metzgerei Maul gesehen, direkt neben seinem auf dem Parkplatz des Golfplatzes. Und er weiß doch, dass die Metzgerei Maul die
Milan-Stuben
beliefert, seit der Robin dort als Koch eingestellt ist. Und die Erika muss eine ziemliche Wut auf die Tamara gehabt haben. Denn nicht nur Robin, auch Jupp hat sie den Kopf verdreht. Und die Jenny hat davon Wind bekommen, nachdem sie wegen ihrer Entführung aus dem Gemeindesaal gelaufen ist und zufällig Zeugin eines Streits zwischen Erika und Jupp geworden ist, wo die rasende Erika ihrem Jupp erklärt hat, dass sie die Angelegenheit ein für alle Mal erledigt hat. Eigentlich nur zum Nachdenken ist Jenny danach in den Steinbruch gelaufen, hat die Leiche entdeckt, eins und eins zusammengezählt, und das Ergebnis hat ihr nicht gefallen. Der frische Gatte ein treuloser Hund, die Schwiegermutter eine Mörderin. Und da hat sie dann wirklich die ganze Flasche Wodka Gorbatschow gebraucht.
Diesmal ächzt der alte Ford nicht, als Felix hinter Hillesheim den Berg hochfährt. Über der alten Wehrkirche steht ein klarer Vollmond und verteilt sein kaltes Nachtlicht großzügig über das schlafende Dorf. Felix parkt vor dem Haus der Mauls, schleppt die tote Tamara aus seinem Auto, legt sie vorsichtig an der Eingangstür ab. Endlich kann er ihr die aufgerissenen Augen schließen. Er schaut hinauf zu Mond und Sternen und saugt den tiefen Frieden der Nacht in sich auf. Mit dem wird es in Berndorf vorbei sein, wenn bald die Sonne aufgeht. Aber da wird Felix weit weg sein. Nie wieder Berndorf, schwört er sich. Dann setzt er sich in sein Auto und fährt los, hinein in die Eifeler Morgendämmerung. Die kurze Spanne zwischen Nacht und Tag berührt ihn jedes Mal: das frühe Licht, noch zweifelnd, und die Welt um ihn herum menschenleer.
Scharfe Kante
VON K LAUS S TICKELBROECK
So. Jetzt aber!«
Bernie Olbrück ließ den abgegriffenen, ledernen Becher auf die hölzerne Theke krachen. Unterm braunen Leder klackerten die Würfel. Vorsichtig kippte er den Rand nach oben, spinkste unter den Becher und zog ihn mit einem schnellen Ruck in die Höhe.
»Verdammt«, zischte Erwin, der Wirt.
»Das gibt es doch nicht!«, behauptete Hans Konzen.
»Schock aus!«, kommentierte Bernie breit grinsend die drei Einser auf der Theke, die seinen Sieg bedeuteten.
»In einem! Mann, bei dem Glück im Spiel geht deine Frau gerade aber so was von fremd«, jauchzte Strotzbüsch-Paul, ohne zu merken, dass diese Bemerkung in der kleinen Strohner Würfelrunde nicht so gut ankam. Hätte er natürlich wissen müssen, aber Strotzbüsch-Paul kriegte oft nicht alles so ganz richtig mit.
Erwin hatte schon vier neue Weizen fertig und klebte sie auf den Tresen. Für Bürgermeister Schwehden fügte er eine Schorle hinzu. Der Sheriff, wie er hier respektvoll genannt wurde, hatte am nächsten Morgen noch einen wichtigen Termin in Manderscheid.
»Tja, des einen Freud …«, gluckste Paul.
Hans Konzen winkte ab. Der hatte durch Bernies Glückswurf jetzt schon seine vierte Runde in Folge verloren. Lief alles nicht glatt bei ihm … zurzeit. Strotzbüsch-Paul hämmerte ihm eine grobe Hand auf die Schulter. »Na, Junge. Wenigstens kannst du sicher sein, dass deine Frau dir treu ist.«
Die Bemerkung war vielleicht noch ein wenig unglücklicher. Bürgermeister Schwehden und Erwin wechselten einen schnellen Blick. Das bemerkte
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