Kramp, Ralf (Hrsg)
Kollege vor. »Die Leitstelle hat meinen Kollegen und mich hergeschickt.«
Wulf nickte und musterte den jungen Mann neben dem Polizisten. Groß, aber trotzdem sportlich. Die Ohrstöpsel eines MP3-Players baumelten an einem Kabel um seinen Hals. Er trug ein hellblaues, verschwitztes T-Shirt von Mando Diao und Laufschuhe an den Füßen.
»Dann erzähl mal!«
»Mein Name ist Christian Welter. Ich wohne hier in der Nähe und trainiere für den Maare-Mosel-Lauf. Halbmarathon. Ich kam aus Richtung Sprink. Der größte Teil der Strecke war abgefrühstückt. Da vorne in der Biegung guckt man tief in die Schlucht rein und da hab ich von weitem wen liegen gesehen. Ich bin ran an die Leitplanke, hab mir gleich gedacht, dass der tot ist und schnell Polizei und Krankenwagen alarmiert.«
Ein angenehm umfassender Vortrag. Wulfs Blick fiel an den beiden Männern vorbei auf den riesigen Steinklumpen, der ihm eben schon bei der Anfahrt aufgefallen war. »Was ist das eigentlich für ein toller Schneeball?«
»Das ist die Strohner Lavabombe«, erklärte der Kollege. »120 Tonnen wiegt das Teil. Ist bei Sprengungen 1969 im Steinbruch am Wartgesberg herausgebrochen. Sechs Meter im Durchmesser.«
»Da hat der Vulkan aber ganz schön weit gespuckt.«
»Nein, nein … Strohner Bürger haben die Basaltkugel im Winter 85 mit eigens angefertigten Eisenschienen …«
»Okay, okay«, unterbrach ihn Wulf hastig. »Wir sind hier nicht beim Sightseeing! Chippy war richtig? Gut. Sei so nett und nimm Christians Aussage auf. Dann begleite den Toten in die Gerichtsmedizin. Ich frag mich, was der Konzen hier bei der Lavabombe gewollt hat. Und warum er die Böschung runtergepurzelt ist. Vielleicht war er ja betrunken. Der Mediziner soll das testen und eine Blutprobe nehmen. Mit dem Ergebnis kommst du wieder hierhin zurück. Ich bin auf der Hinfahrt am
Vulkanhaus
mit Museum und Café vorbeigekommen. Da treffen wir uns.«
»Und was machst
du
so lange?«, fragte Chippy spitz, der ursprünglich nicht vorgehabt hatte, den halben Vormittag in der gruseligen Gerichtsmedizin zu verbringen.
»Ich werde gucken, Fragen stellen und ermitteln, Kollege!«
»Vulkanhaus
. Treffen wir uns im Museum oder im Café?«
»Wie sehe ich denn aus?«, fragte Wulf.
»Okay. Bis gleich«, verabschiedete sich Chippy. »Im Café.«
Sandra Konzen war eine ausnehmend hübsche Frau. Kurze, blonde Haare, drahtig, der gleiche sportliche Typ wie ihr Ehemann. Ex-Mann. Der jüngst Verblichene … Wie sagt man doch gleich? Jedenfalls war Wulf froh, dass der Leiter der örtlichen Polizeidienststelle ihr die Todesnachricht bereits überbracht hatte und sie einen leidlich gefassten Eindruck machte.
»Mordkommission?«, fragte sie dann auch irritiert. »Warum beschäftigt sich die Mordkommission mit dem Tod meines Mannes? Es war doch ein Unfall.«
»Es heißt auch eigentlich Dezernat für Todesermittlungen. Aller Art. Ich habe nur zwei, drei schnelle Fragen. Reine Routine«, erklärte Wulf und spürte entsetzt, dass das am frühen Morgen aufgetragene Deo unter seinen Achseln gerade seinen Geist aufgab. »Sie haben Ihren Mann nicht vermisst, als er über Nacht wegblieb?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Wir haben getrennte Schlafzimmer. Er schnarcht. Sehr. Sehr stark. Oh, darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»Danke, danke. Nein, nicht nötig.«
»Wenn mein Mann zum Knobeln in die
Linde
geht, wird es oft spät. Ich warte dann nicht auf ihn. Ich hätte ihn später … ich meine, irgendwann, sicher.«
»Sie haben zwei Kinder?«, fragte Wulf.
»Zwei Jungs. Zwillinge. Sieben Jahre alt. Sie sind bei einer Freundin, die die beiden von der Schule abgeholt hat. Ich muss so viel regeln.«
»Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
Sie schüttelte den Kopf.
Wulf räusperte sich. »Ich bin gleich weg, aber … Haben Sie eine Idee, was Ihr Mann irgendwann zwischen 22 und 24 Uhr bei der Lavabombe wollte?«
Sie blickte ihm in die Augen. Direkt. Und hart. »Was glauben Sie, wie oft ich mir diese Frage heute Vormittag schon gestellt habe?«
Wulf nickte und verließ hastig das Haus.
Seine nächste Station war die
Linde
. Aber …
»Was ist das denn?«
Wulf bemerkte zu seinen Füßen eine unförmige, gezackte, weiße Linie, die vom Haus weg über die Straße führte. Sah aus wie Kalk.
»Komisch.«
Die fransige Linie schlängelte sich durch den Ort und kreuzte an der nächsten Einmündung eine zweite Linie, die etwas dünner war und sich in einer Garagenauffahrt verlor. Die erste Linie
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