Kramp, Ralf (Hrsg)
hast ja die Erfahrungen.«
Das gefiel Kadenbeck. Er nickte. »Gut, dann lass uns jetzt den Bach suchen.« Er wusste auch schon wo und dirigierte ihn zu einem Bach mit einer kleinen Brücke aus Quadersteinen unterhalb einer sumpfigen Böschung. Die Stelle habe er am Morgen durch Zufall entdeckt, erzählte Kadenbeck. Für gute Locations habe er eben eine Nase.
Bünten überlegte: Man müsste es so arrangieren, dass er stolpert, mit dem Kopf aufschlägt und ertrinkt. »Nicht schlecht die Stelle«, bestätigte er.
»Erst mal sehen, wie es lichtmäßig aussieht. Wenn wir hier Generatoren hinschleppen müssen, kannst du das vergessen«, sagte Kadenbeck und beugte sich zum Rücksitz. Er holte ein Paar verdreckte Stiefel hervor. »Leider die einzigen.«
»Verstehe«, sagte Bünten. »Ich geh schon.«
»Und miss gleich mal die Brückenhöhe.«
Bünten stieg in die Gummistiefel, mindestens zwei Nummern zu groß, und dachte darüber nach, wie er Kadenbeck hinunter zum Bach locken konnte.
Bünten stapfte die Böschung hinunter und am morastigen Bachufer entlang zu der kleinen Steinbrücke. Ein fauliger Gestank wie von nassen Matratzen und Urin schlug ihm entgegen. Im Schatten des Brückenbogens häuften sich Blätter und Aste zu einem grabähnlichen Hügel. Sah aus, als ob jemand etwas versteckt hatte. Vielleicht von einem Penner, der nachts unter der Brücke campierte. Er stieß mit dem Fuß das Reisig zur Seite und legte etwas Bleiches, Fleischiges frei. Es war ein Arm. Der Arm gehörte zu einem Körper. Offenbar der einer Frau. Gerade wollte er um Hilfe rufen, als er das Armband sah. Silbern, quadratisch geschliffene Glassteine, zwei davon türkis. Er legte den Kopf der Toten frei. Auch wenn ihr Gesicht von Schlägen entstellt war, gab es keinen Zweifel. Seine Knie gaben nach, und er sackte in sich zusammen.
Nach einiger Zeit versuchte er aufzustehen. Mit bleischweren Schritten begann er, die Böschung zu erklimmen. Auf halber Höhe machte es klick in seinem Kopf, und er begriff: Es war eine Falle, in die Kadenbeck ihn gelockt hatte. Das Schwein musste Verdacht geschöpft haben, woraufhin er sie vermutlich so lange geprügelt hatte, bis sie alles gestand, was sie jedoch nicht mehr hatte retten können. Dann hatte Kadenbeck den Plan entwickelt: Keiner sonst wusste, dass er, der scheinbare Verlierer Bünten, sich wieder mit seiner ehemaligen Freundin versöhnt hatte. Aber alle wussten, dass er seinen Chef hasste. Fände man ihn hier bei der Toten, würde jeder davon ausgehen, dass er sie aus Eifersucht erschlagen hatte. Das Schwein musste sie am Morgen hierher gebracht haben. Stiefelabdrücke und alle anderen Spuren waren wie von einer einzigen Person, und im Auto hatte er Handschuhe getragen. Jetzt brauchte er nur die Polizei anrufen und einen verdächtigen Mann im Wald melden.
So schnell es ging, stieg er hoch zur Straße. Der Rover stand verlassen da, der Zündschlüssel abgezogen. Das Schwein musste mittlerweile einen Vorsprung haben, den er ohne Auto nicht mehr würde aufholen können. Dann fiel ihm ein, was Kadenbeck übersehen haben könnte: Er rutschte den Hang hinunter und überwand das Grauen. In der Innentasche ihrer Jacke fand er den Ersatzschlüssel für den Rover. Als er ihn hervorkramte, sah er, dass Melanies Brustkorb sich leicht hob und senkte. Sie atmete! Panisch kraxelte er zurück und schwang sich in den Wagen. Mit dem Handy alarmierte er den Notarzt, wobei er sich als Kadenbeck ausgab. Dann drückte er das Gaspedal durch.
Kurz vor der Ausbuchtung, an der sie eine halbe Stunde zuvor gehalten hatten, sah er ihn. Bünten hielt voll auf ihn zu, er spürte den Hass in jeder Faser seines Körpers. Kadenbeck sah sich um, versuchte auszuweichen und lief dicht an der Bergkante entlang. Doch der Rover erwischte ihn an der Hüfte, und er flog wie eine Puppe durch die Luft. Der Wagen schleuderte zurück auf die Straße. Bünten machte kehrt, gab Vollgas, die Reifen quietschten auf dem Asphalt.
Der wuchtige Rover ruckelte unsanft, als er über den Körper des ehemaligen Erfolgsregisseurs hinwegdonnerte, fand dann aber wieder in die Spur und hinterließ eine malerische Kulisse mit Schönheitsfehler, die filmreif gewesen wäre.
»Danke, das war’s.« Melanie Braun erhob sich aus ihrem Regiestuhl und rief: »Nebel aus.«
In den Drehort kam Bewegung. Die Beleuchter kurbelten die Lampen herunter und das Scriptgirl brachte Becher mit heißem Kaffee.
»Sie wollten meine Frage noch beantworten«, sagte die junge
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