Kramp, Ralf (Hrsg)
seinem Verschwinden in der Klinik war es still um ihn geworden. Nachdem er über ein Jahr von der Bildfläche verschwunden war, hatten die Engagements rapide nachgelassen. Und das Schlimmste war, dass auch all seine CDs mittlerweile wie Blei in den Regalen lagen. Ein Millionenkapital lag brach.
Was diese Frau ihm damals angetan hatte!
Sie hatte ihn entführt. Zwei Tage war er im Partykeller ihrer im Urlaub befindlichen Freundin in Stuttgart eingesperrt und gefesselt gewesen, ohne dass ihn jemand ernsthaft vermisst hatte. Selbst Günni hatte damals gedacht, es habe sich wieder mal um eine von Ricos kleinen Eskapaden gehandelt.
Walburga Mießeler hatte ihm achtundvierzig Stunden einen Rico-Diamond-Schlager nach dem anderen vorgespielt und ihm dazu etwas vorgetanzt. Von A wie
Am Abend schmecke ich deine Tränen
bis Z wie
Zwei verliebte Zypressen
.
Sie hatte ihm seine Leibspeise eingetrichtert. Sechs Mahlzeiten lang Shrimpscocktail.
Seither kotzte Rico ohne Vorwarnung los, wenn er nur das Wort Shrimps hörte oder las.
Schließlich kam man ihr auf die Spur, weil sie dabei beobachtet worden war, wie sie an der Hotelbar heimlich K.-o.-Tropfen in seinen Cocktail gemischt hatte. Als Rico Diamond gefunden wurde, war er ein gebrochener Mann. Sie hatte seine Lippen wundgeküsst und mehrfach erfolglos versucht, ihn sexuell zu befriedigen.
Liebes Tagebuch
,
ich weiß nicht so recht, was ich anziehen soll. Das eng anliegende, gelbe Kleid oder das gestreifte Kostüm? Er soll ahnen, dass ich dieselbe Unterwäsche trage wie vor vier Jahren, als ich für ihn getanzt habe. Ich werde nicht in der ersten Reihe sitzen, denn das würde ihn nur nervös machen. Er muss sich auf seine Kunst konzentrieren. Er muss sein Publikum glücklich machen. Ich bin es ja schon. Allein schon, weil ich ihn wiedersehen werde. Ob er sich an die heißen Küsse erinnert? Rico, ich höre schon dein Herz schlagen!
Das war also die sogenannte Loft Lounge. Picobello, aber für einen Showstar von Ricos Kragenweite eine Hundehütte. Günni Kovacz seufzte. Rico war beschäftigt. Eine junge Frau hatte sich als »Vanessa Sandgathe, Erste Vorsitzende des Rico-Diamond-Fanclubs Vulkaneifel e. V.« vorgestellt und ließ sich mit ihm fotografieren. So so, in der Eifel gab es also sogar noch einen Fanclub.
»Da oben finden Sie die Bühnengarderobe.« Jörg Petrys Finger wies in den ersten Stock. »Sie hatten nichts Besonderes für Herrn Diamond geordert, und da haben wir nach eigenem Gusto ein kleines Buffet zusammengestellt.«
Hoffentlich keine Shrimps, dachte Günni Kovacz grimmig.
Nachdem sie hinter dem
Lokschuppen
eine alte Dampflok aus dem Jahr 1942 bestaunt hatten, aus deren Schlot dichter schwarzer Qualm in den Sommerhimmel stieg, kam der rote Schienenbus an, der die ersten Gäste vom Bahnhof Gerolstein herüberspedierte. All das gehörte zum Beiprogramm. Rico winkte den Ankömmlingen zu, Autogramme wurden verteilt, die Stimmung blühte auf. Rico drehte sich zu ihm um und zwinkerte ihm zu. Er wurde lockerer, es sah ganz so aus, als würde der Abend gut verlaufen.
Ganze 85 Gäste fanden ihren Weg zu dem Konzert. 90 Prozent Frauen, 95 Prozent über Fünfzig.
»Die jungen Fans waren Ausrutscher gewesen, was?«, japste Rico in der Pause in der Garderobe. Er hatte riesige Schweißflecken unter den Armen. Günni reichte ihm ein neues Hemd. »Oder hattest du die bestellt?« Er grinste breit, als er, immer noch schwer atmend, vor dem Spiegel Platz nahm, um beim Toupet nachzukleben. »Dir traue ich alles zu.«
»Sie finden dich heiß«, sagte Günni, »egal, wie alt sie sind. Sie brennen, Rico, spürst du’s?«
»Ja, ja, ich spür’s!« Rico lachte laut auf. »Das tut gut. Ich bin wieder da, Günni, ich bin wieder da!« Er fuhr auf seinem Stuhl herum. »Wenn ich es hier in … Gerol … Dings …«
»Gerolstein.«
»Genau, wenn ich es hier in Gerolstein schaffe, dann …«
»Du schaffst es überall, Rico! Überall!«
»Ich will nicht mal mehr rauchen, Günni!«
Als Rico sich wieder zum Spiegel wandte, kräuselte sich plötzlich seine Stirn. »Hast du mein Deo weggenommen, Günni?«
Für einen Moment hing bleierne Stille über dem Garderobenraum.
Dann murmelte Rico: »Ich werd’s im Hotel vergessen haben.« Und noch einmal leiser: »Ja, vergessen, ganz genau. Einfach vergessen.«
Nach der Pause war Rico nicht mehr derselbe. Hatte er sich in der ersten Dreiviertelstunde die Seele aus dem Leib gesungen, kam sein
Wieg deinen Körper im Wind wie das
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