Kramp, Ralf (Hrsg)
gewesen war, fühlte sich mit einem Mal kalt und hart an wie der graue Treppenaufgang, an dessen Seitenwand der leblose Körper angelehnt war. Die junge Frau musste tot sein. Ihr Kopf lag in seltsamer Verdrehung auf einer Schulter, die Beine steif ausgestreckt. Der schief hängende Oberkörper schien jeden Moment von der Wand abzurutschen. Alois war froh, dass die Augen der Toten geschlossen waren. Sie trug eine leichte Bluse. Das Leinen war voller dunkler Flecken.
Siegfried Horn war neben den erstarrten Freund getreten.
Die beiden Männer starrten fassungslos auf die Leiche. Alois sah, wie sein Begleiter zum Mobiltelefon griff. Einer Eingebung folgend, betrat er die Kapelle und begann, an einem Strick zu ziehen, der im Eingangsbereich von der Decke herabhing. Die Glocke schallte hell durch den Maimorgen, floss über das Totenmaar, ließ eine Krähe verstummen und die Menschen unten in Schalkenmehren aufhorchen.
Subdominante
Kriminalhauptkommissar Franz Koller legte den Telefonhörer in die Halterung. Er lehnte sich zufrieden zurück, als Natascha Berger ihren weißblonden Schopf in den Türspalt steckte.
»Chef, wir haben eine Tote in Daun. Die Kollegen sind sicher, dass es sich um Mord handelt. Die Kriminaltechnik ist schon vor Ort.«
Franz Koller spürte, wie seine fleischigen Wangen Richtung Kinn fielen und die Mundwinkel tief mit hinunter zogen.
»Ach nee«, stöhnte er. »Habe gerade einen Massagetermin ausgemacht. Ich hab heute Rücken, ein kalter Tatort in der Eifel geht jetzt gar nicht.«
Natascha Berger schob sich ganz in Kollers Büro und zuckte ohne Bedauern mit den Achseln. »Du brauchst doch gar nix tun, nur hinfahren müssen wir. Und fahren tu ich, also los bitte!«
Der Kriminalhauptkommissar sah seine junge Kollegin missbilligend an. Dann jedoch brachte er seinen Oberkörper stöhnend in eine aufrechte Position, um sich nach einem Moment der Sammlung ganz aus dem Stuhl zu erheben.
»Ich hab gewusst, dass das heut nix wird«, brummte er und folgte Natascha Berger durch die Gänge der Kriminalinspektion Wittlich, bis sie auf der Straße vor Nataschas kleinem Cabrio standen. Sie stieg ein und öffnete die Beifahrertür von innen.
»Nee!«, rief Franz Koller entrüstet und sah auf den Sitz des Sportflitzers hinunter, der bedenklich knapp über dem Asphalt lag.
»Da komm ich doch nie mehr raus!«
»Sorry«, antwortete Natascha. »Unser Dienstwagen ist in der Werkstatt, und bis ich jetzt einen anderen organisiert habe …«
»Leckt mich doch alle mal am Arsch«, brummte Franz leise und begann umständlich, in das Cabrio zu klettern. Sein Gesäß hatte beinahe den tiefsten Punkt erreicht, als ein stechender Schmerz im Lendenbereich aufflammte und der Kommissar wimmernd in sich zusammensackte.
»Was ist denn jetzt schon wieder passiert?« Natascha ahnte das Unglück längst.
»Der dritte Hexenschuss in diesem Jahr«, flüsterte Franz mit Tränen in den Augen. »Fahr einfach los und lass gut sein.«
Er horchte in seinen schmerzenden Körper hinein. Dann stöhnte er protestierend auf, als Natascha forsch wie immer anfuhr und so ihr fehlendes Mitleid zum Ausdruck brachte. Sie erhöhte seine Qual noch, indem sie den CD-Spieler anstellte, aus dem die Dixie Chicks trällerten.
»Herrgottscheißenochmal«, jammerte Franz. »Hast du nix Vernünftiges? John Coltrane? Miles Davis?«
Natascha Berger schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass der Kriminalhauptkommissar ausschließlich Jazz hörte. Eine seiner vielen Eigenarten, die ihr seltsam vorkamen. Mehr noch. Franz Koller war weit entfernt von dem, was man einen geselligen Zeitgenossen nennen würde. Er besaß keinen Charme, war unansehnlich, im Grunde sogar hässlich, wenn Natascha es sich genau überlegte. Und er war ständig krank. Allerdings hatte er in den zwei Jahren, in denen sie mit ihm zusammenarbeitete, noch nie einen Arbeitstag gefehlt. Seine ständigen Rückenattacken pflegte er im Büro auszukurieren, wo er eigentlich auch lebte. Niemand hatte je von einer privaten Beziehung erfahren. Das erschien Natascha, die ihre Partner im Monatsrhythmus wechselte, beinahe unheimlich. Sie kramte ein Album von John Mayer hervor und tauschte die texanischen Damen, die gerade einen Country-Pop trällerten, gegen den smarten Gitarristen, dessen Musik sie wegen seines erotischen Auftrittes mochte. Franz atmete dankbar auf, als ein sanfter Blues den Lautsprechern entströmte. Natascha lenkte derweil den Wagen auf die A1 und trat das Gaspedal durch. Der Motor
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