Kramp, Ralf (Hrsg)
gestanden, war in jeder Fernsehshow aufgetreten, hatte Gastspiele auf Mallorca, in Italien und in den Staaten gegeben ...
... bis diese Sache vor drei Jahren passiert war. Zuerst hatte es ganz harmlos begonnen. Ein weiblicher Fan hatte Rico immer wieder Briefe geschrieben. Eigentlich nichts Außergewöhnliches. Walburga Mießeler hatte all seine Konzerte besucht. Sie musste Unsummen ausgegeben haben, um immer in der ersten Reihe zu sitzen, wo auch immer er auftrat. Dann war sie immer häufiger in den Hotels aufgetaucht, in denen er logierte. Einmal, in Frankfurt, da hatte sie sogar das Nachbarzimmer gebucht und hatte ihm während seines dreitägigen Aufenthalts immer wieder aufgelauert. Da hatte es angefangen, kritisch zu werden. Sie hatte offenbar das Zimmermädchen bestochen, um in seine Suite eindringen und persönliche Dinge an sich nehmen zu können. Aber das war erst der Anfang gewesen. Mit einer geklauten Socke hatte damals alles angefangen.
Liebes Tagebuch
,
Rico ist mein. Mein, mein, mein. Jeden Abend knie ich vor dem Altar, liebkose seine Socke, trinke aus dem Glas, aus dem auch er trank und lasse meinen nackten Körper unter dem Kitzeln der Zahnseide, die ich im Abfalleimer gefunden habe, erschauern. Rico, du bist bei mir. Rico. Wann werden wir für immer vereint sein? Rico, wenn du morgen bei
Melodien für Millionen
auftrittst, sing bitte nur für mich
Unsere Liebe ist wie ein schlummernder Vulkan.
Ich werde bei dir sein. Immer
.
Der Wagen holte sie vom Hotel
Calluna
ab, das hoch über dem Städtchen Gerolstein am Waldrand lag. Auf der anderen Seite des Tales leuchteten die schroffen Abhänge der Dolomitfelsen rotgolden im Sonnenlicht. Es war ein ungewöhnlich schöner Morgen in diesem verregneten Sommer. Ricos Gesicht war grau und schlaff. Sein Toupet saß schlecht. Nicht nur echte Haare machten bei mieser Stimmung, was sie wollen.
»Sie hat wieder angefangen«, knurrte er, kaute einen Nikotinkaugummi und zupfte an seinen Nikotinpflastern herum. »Sie wird wieder loslegen, genau wie damals, diese Irre.«
»Das Gericht hat ihr untersagt ...«
Rico fuhr in seinem Sitz hoch. »Das Gericht... das Gericht ... Die ist total durchgeknallt, die Alte. Die ist gefährlich. Die interessiert doch einen Scheißdreck, was ihr das Gericht ...«
Günni legte ihm einen Arm auf das Knie. »Ruhig, Rico, ruhig. Du musst keine Angst haben.«
Günni nannten sie den Promiflüsterer. Er wusste, wie er sie zu behandeln hatte. Er hätte Michael Jackson schon zur Räson gebracht, und auch Harald Juhnke hätte er wieder auf die Reihe gekriegt, wenn man ihn gefragt hätte. Wenn er sein Schützling gewesen wäre, wäre auch Rex Gildo nicht aus dem Fenster gehüpft, und das mit Amy Winehouse ... Nun ja, alles nicht seine Fälle.
Er hatte Rico Diamond. Eins von seinen Schäfchen, das besondere Aufmerksamkeit brauchte.
Nach dieser Geschichte mit der Stalkerin hatte Rico vierzehn Monate in einer Klinik verbracht. Ganz still und heimlich und von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt. Es hatte Günni viel Mühe gekostet, alles unter der Decke zu halten. Rico Diamond in der Klapse, na das wären ja schöne Schlagzeilen gewesen.
»Wohin fahren wir?« Ricos unsteter Blick war auf die vorbeifliegenden Häuser des Städtchens gerichtet.
»Zu einem
Lokschuppen
. Dein Auftritt heute Abend.«
»In einem
Lokschuppen
?« Es klang matt und teilnahmslos.
»Super Location. Ganz tolles Ambiente. Da sind schon alle aufgetreten ... Klaus Lage, Guildo Horn, Götz Alsmann ...«
»Wieviel?«
»2000 Stehplätze in der großen Halle ...«
»2000?« Rico Diamonds Schnaufen klang verächtlich. »In der
Halle Münsterland
hatte ich 26.000.«
»Ähm, du bist nicht in der großen Halle, du bist in der Loft Lounge im ehemaligen Magazin.«
»Und da?«
»150 Sitzplätze.«
»Ausverkauft?«
»Noch nicht ganz. Zweiundsiebzig bis jetzt. Aber an der Abendkasse ...«
Rico Diamond verfiel in düsteres Brüten.
Auf einer Brücke überquerten sie die Schienenstränge der Bahnstrecke Köln-Trier. Schlechte Stimmung.
Günni Kovacz dachte an die großen Erfolge zurück.
Grugahalle, Europahalle
... Beim Grand-Prix-Sieg mit
Eine grüne Insel aus Liebe
war ganz Deutschland im Rico-Diamond-Fieber gewesen. Er war insgesamt siebzehn Mal bei
Wetten, dass?
gewesen und stand als Wachspuppe bei
Madame Tussauds
in Berlin. Rico Diamond war einer von den ganz Großen ... gewesen.
Und jetzt sang er vor zweiundsiebzig Nasen in der Eifel.
Rico zuckte plötzlich
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