Kramp, Ralf (Hrsg)
das?«
»Ich denke schon«, sagte Franz. »Sie war für dich wie eine Göttin. Wunderbar, begehrenswert – und unerreichbar.«
Seelmann sah den Kommissar aus großen Augen an. »Was?«
»Ich verstehe dich sehr gut – besser als du glaubst. Und dann kommt dieser Unternehmer daher. Selbstsicher, gutaussehend.«
»Das ist doch Quatsch!«, rief der Junge. »Nina hat den Typen bekämpft. Er ist ein Naturschänder, seine Bagger und sein Geld sind ihm wichtiger als die wunderschöne …« Seine Stimme versagte. Franz ergänzte: »Ja, diese Typen nehmen sich das Schöne, was sie sehen, sie beschmutzen und zerstören es.«
Seelmann nickte schweigend. Der Kommissar fuhr fort:
»Und in jener Nacht traf sie ihn. War es nicht so?«
»Ja«, antwortete der Junge leise. »Sie hat den Typen genauso gehasst wie ich. Und dann ging sie zu ihm.«
»Und du hast sie verfolgt.«
»Nein!« Der Junge schüttelte entschieden den Kopf. »Ich ging ihr nach, um sie zu beschützen, das ist was anderes. Dann betrat sie diese Hütte, und ich hab mich nicht getraut, da reinzuplatzen. Sie konnte doch immer so gut mit den Leuten reden, und ich …«
»Du nicht, ich weiß«, sagte Franz. »Und dann kam sie irgendwann wieder raus. War der Zingler dabei?«
»Nein. Ich dachte, sie hätten vielleicht heftig gestritten, sie sah so aufgelöst aus. Ihre Haare, und die Bluse war offen. Aber dann …«
»Dann hast du gemerkt, dass sie so aussah, weil sie gerade heftigen Sex mit dem Kerl gehabt hatte, nicht wahr?«
»Nein!«, rief der Junge aus. »Schon, aber nicht direkt. Ich sprach sie an. Sie war verärgert. Dann sah sie mein Messer.«
»Du hattest ein Messer in der Hand?«
»Ich war doch darauf vorbereitet, mit diesem Typen fertig werden zu müssen. Sie hat das falsch verstanden. Aber dann – dann sah ich, wie erhitzt sie war, und ich küsste sie. Und sie mich, und dann kam es irgendwie über uns, und wir machten es auf dem Boden. Und sie sah mich die ganze Zeit dabei so seltsam an.«
Franz spürte die Verzweiflung des Jungen, doch da mussten sie jetzt beide durch. »Und du hast nicht daran gedacht, dass sie sich dir nur aus Todesangst hingegeben hat? Dir, dem eifersüchtigen Verehrer mit dem Messer in der Hand?«
»Nein!«, rief Seelmann aus und begann zu weinen.
»Und dann, als du fertig warst und die Erregung abgeflaut ist?«
Der Junge schüttelte den Kopf, wollte nicht mehr antworten. Dann brach es doch aus ihm heraus, so undeutlich, dass der Kommissar es kaum verstehen konnte: »Zuerst habe ich nichts kapiert, ich war so verwirrt, sie war so schön, ich habe völlig den Verstand verloren. Dann habe ich gemerkt, dass – oh mein Gott, sie war steif vor Angst, und ich habe mich so geschämt. Ich musste zustechen, verstehen Sie?«
Franz atmete tief durch und seufzte. Das Jazzradio brachte ein Stück, das er nicht kannte. Aber die Geschichte dieses Mordes, die kannte er. Nur zu gut. Aber er musste auch noch den Rest aus dem Jungen herausholen.
»Und dann? Als sie tot war? Warum noch mehr Stiche? Und warum hast du die Leiche zum Totenmaar gebracht?«
»Das war ich nicht«, antwortete Seelmann heulend. »Ich glaube, ich habe das Messer neben ihr liegen lassen und bin weggelaufen. Ich konnte nicht denken, nichts tun, ich war so verzweifelt. Am Morgen wollte ich mich stellen, alles erzählen. Aber dann wurde Nina bei der Kapelle gefunden. Da wusste ich wieder nicht, was ich machen sollte. Das muss der Zingler gewesen sein. Der hat sie wohl gefunden und hatte Angst, man könnte ihn verdächtigen. Er lag immerhin öffentlich im Clinch mit ihr, hatte mit ihr geschlafen und sie lag auf seinem Grundstück.«
Die letzten Worte hatte der Junge wie in fiebriger Hast herausgepresst. Nun konnte er nicht mehr. Laut weinend sackte er auf dem Stuhl in sich zusammen.
Natascha stürzte ins Zimmer. »Alles in Ordnung hier?«
Franz schüttelte den Kopf. »Nein, nichts ist in Ordnung. Aber immerhin haben wir einen geständigen Täter. Den anderen musst du aber auch festhalten. Der hat ebenfalls noch was zu beichten. Bitte bring den Jungen jetzt raus. Ich kann nicht mehr.«
Der Kommissar ließ sich müde ins Kissen sinken und blickte zur Decke. Er hörte, wie Natascha Seelmann vom Stuhl zog, aus dem Zimmer bugsierte und die Tür schloss.
Tonika
Der Schmerz würde stets da sein. Was immer er auch versuchte, der Blues war sein ständiger Begleiter. Mit Schmerz und Trauer kannte er sich aus. Das war sein Beruf. Sein Schicksal.
Franz sah aus dem Fenster.
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