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Krampus: Roman (German Edition)

Krampus: Roman (German Edition)

Titel: Krampus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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bin.«
    »He, woran glaubst du?«
    »Das hatten wir doch alles schon. Ich habe dir gesagt, dass ich an nichts glaube.«
    »Nein, das stimmt so nicht. Du wüsstest es nicht, hast du behauptet.«
    Jesse zuckte mit den Schultern.
    »Dafür weiß ich es«, fuhr Krampus fort. »Du glaubst an die Musik. Sie ist deinem Herzen am nächsten.«
    »Nein, mit der Musik bin ich ein für alle Mal fertig.«
    »Das geht gar nicht, genauso wenig, wie du mit dem Atmen fertig sein kannst. Der Tag, an dem du aufgibst, ist dein Todestag.«
    »Ich weiß deinen guten Willen wirklich zu schätzen, aber du scheinst es nicht zu begreifen. Ich habe anderes im Kopf, und …«
    »Ich weiß, dieser Dillard. Wir werden uns um ihn kümmern.«
    »Das hast du schon so oft behauptet.«
    »Wenn du jetzt auf die Bühne gehst und mir ein paar Lieder vorspielst, dann verspreche ich dir hoch und heilig, dass wir sofort von hier verschwinden und diesen finsteren Gesellen töten.«
    Mit offenem Mund starrte Jesse Krampus an. »Bist du besoffen, oder meinst du das ernst?«
    Er schaute Jesse fest in die Augen. »Ich schwöre es dir als Herr der Julzeit.«
    Da erkannte Jesse, dass der Alte es ernst meinte, zumindest jetzt, in diesem Moment, und kam zu dem Schluss, dass er keine bessere Gelegenheit bekommen würde. Also stand er auf und nahm die Gitarre. Damit ging er am Rande der Tanzfläche entlang und wartete, bis die Band mit dem Lied fertig war. Er fragte die Musiker, ob sie eine kurze Pause machen und sich ein Bier holen wollten, und betrat die Bühne.
    Alle Blicke richteten sich auf ihn, und er war sich sicher, dass das Publikum ihm den Schwindel ansah. Er legte sich den Gitarrengurt über die Schulter, schlug die Saiten an und tat so, als müsste er die Gitarre stimmen, während er seine Nervosität bekämpfte. Dann rückte er das Mikrofon zurecht und blickte in die Menge. Jesse wurde das Gefühl nicht los, dass er auf einer Bühne nichts verloren hatte. Er schluckte und wollte etwas sagen, hatte im selben Moment jedoch schon vergessen, was.
    »Willst du singen oder uns nur wie ein Hühnchen anstarren?«, rief eine Frau, und Gelächter ertönte.
    »Ich würde … würde euch gerne einen kleinen Song … vorspielen«, stammelte er. »Ich habe ihn mir vor einer Weile ausgedacht. Er heißt ›Night Train‹.«
    Als Jesse in die Saiten griff, klang es schief. Er hielt inne.
    »Der Nächste!«, rief jemand, gefolgt von Buhrufen.
    »Sorry, Leute … es ist ein Weilchen her.«
    Die Gäste wandten sich nach und nach ab, lachten, fingen wieder an zu reden und gingen an die Bar, um Nachschub zu ordern.
    Ihm schnürte sich die Kehle zu. Wem will ich hier eigentlich etwas vormachen? Er zwang sich, noch mal von vorne anzufangen, und verspielte sich erneut, aber diesmal machte er einfach weiter. Seine Finger waren noch ein wenig steif, aber er wusste, dass dies das geringste Problem war. Als er zu singen begann, klang seine Stimme leblos, er hörte es und sah es den Gesichtern der Zuschauer an.
    Einige schüttelten die Köpfe, andere hielten sich die Ohren zu und lachten – sie lachten ihn tatsächlich aus. Jesse bemerkte, dass Krampus ihn von der Bar aus beobachtete. Der Blick des Herrn der Julzeit war fest und durchdringend. Dann sagte er etwas, und obwohl Jesse ihn unmöglich über den Lärm der Menge hinweg hätte hören können, verstand er die Worte oder spürte sie vielmehr tief in sich drin: »Befreie deinen Geist.«
    Es war albern und blödsinnig, trotzdem schloss Jesse die Augen, um die Menge zu vergessen und sich ganz auf seine Musik zu konzentrieren. Allmählich verstummte der Lärm um ihn herum, und dann war er allein mit der Gitarre, ganz allein, wie bei sich zu Hause. Die Anspannung löste sich, die Finger waren nicht mehr steif und fanden die richtigen Akkorde, und er begann zu singen, wirklich zu singen.
    Der Song, eine fetzige Nummer, handelte von einem Mann, der seine Frau verließ, ein gemeines Miststück. Nach etwa einer Minute wurde die Musik lebendig, die Melodie und die Töne traten ihm beinahe bildlich vor Augen. Die Musik durchströmte ihn, und es fühlte sich an, als würde er einen Zauber weben und nicht ein Lied singen. Er zupfte so fest und schnell an den Saiten, wie es nur ging, ohne sie zu zerreißen. Nach dem ersten Song machte er sofort mit dem nächsten weiter und danach mit dem dritten. Es kam ihm vor, als hätte ihm jemand die Watte aus den Ohren gezogen und er könnte zum ersten Mal seine eigene Musik hören, seine eigene

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