Krampus: Roman (German Edition)
strahlte ihn aus fröhlichen, gelben Augen an. Jesse lachte mit.
Abseits der hingebungsvoll Feiernden, in den tiefsten Schatten, fielen Jesse andere Gestalten auf, darunter Wesen, die er noch nie zuvor gesehen hatte, die er aber tief in seinem Innern erkannte. Er schauderte. Auch sie schienen von dem Herzschlag angezogen zu werden, allerdings erkannte Jesse, dass sie andere Absichten hegten. Die Gestalten verfolgten das Treiben im Saal tadelnd, aber keine von ihnen betrat den Kreis aus Licht, und jedes Mal, wenn Krampus lachte oder brüllte, duckten sie sich, als hätten sie Schmerzen.
Krampus begann erneut zu singen, und alle fielen ein. Sie lachten, tranken, pfiffen, riefen und prallten wirbelnd zusammen, trunken von seinem Geist. Jesse hatte keine Ahnung, wie lange es so weiterging, irgendwann brach er zusammen und schlief entweder ein oder verlor das Bewusstsein.
***
Jemand rüttelte Jesse wach. Als er die Augen öffnete, sah Krampus grinsend auf ihn herab. Jesse ließ den Blick über die schlafenden, schnarchenden Leute wandern. Überall lagen sie herum, manche hatten sich sogar mitten auf der Tanzfläche zusammengerollt, während andere über der Theke, den Tischen und Bänken hingen. Er suchte nach der Frau mit den Hörnern, konnte jedoch weder von ihr noch von den wilden, bemalten Menschen oder den anderen seltsamen Tieren auch nur die geringste Spur entdecken.
»Zeit, die Angelegenheit mit diesem Dillard zu regeln. Bist du bereit?«
Rasch setzte Jesse sich auf und nickte. »Na klar.«
Das Lächeln des Herrn der Julzeit wurde breiter, ein gefährliches, zahnreiches Grinsen. »Dann lass uns aufbrechen und Schrecken verbreiten.«
Sie gingen hinaus, wo die Kälte Jesses Lebensgeister langsam weckte. Benommen taumelte er hinter Krampus her. Die übrigen Belznickel warteten bereits auf dem Schlitten. Sie alle, selbst Vernon, wirkten erschöpft, aber glücklich und zufrieden.
Die ersten Vorboten der Morgendämmerung zeigten sich über dem Hügelkamm. Jesse blieb wie angewurzelt stehen.
Neben dem Schlitten saß ein Bär im Schnee. Ein ziemlich großer sogar.
Jesse wollte die anderen gerade darauf hinweisen, als ihm die drei Rehe auffielen, die gleich daneben standen. Er drehte sich um und entdeckte weitere Rehe, noch einen Bären, Waschbären, einen Fuchs, Kaninchen und allerlei andere Tiere. Sie hatten sich rund um die Bar versammelt. Außerdem fiel ihm auf, dass ein Großteil von Schnee und Eis der Umgebung getaut war und einen breiten Streifen bloßliegender Erde freigegeben hatte. Hier und dort wuchs frisches Gras, und an den umstehenden Bäumen zeigten sich Knospen. Selbst einige Blumen sprossen.
Jesse blickte zu Krampus hinüber.
Der zuckte mit den Schultern. »Wir haben letzte Nacht für die Mutter Erde gesungen. Offenbar hat sie uns erhört.« Er pflückte eine Blume aus dem Schnee und roch daran. »All das hat der Geist einiger Trunkenbolde bewirkt. Stell dir vor … stell dir nur mal vor, was wir mit tausend Stimmen erreichen könnten, mit hunderttausend oder mit einer Million.«
Kapitel 17
Gottes Zorn
H inter der alten Kirche setzte der Schlitten auf. Geri und Freki warteten auf der rückseitigen Veranda auf sie. Die Belznickel krabbelten heraus und stützten sich gegenseitig, als sie sich hineinschleppten. Krampus spazierte auf die Veranda, ließ den Sack auf die Stufen fallen und hielt einen Moment inne, um den Wölfen das dicke Fell zu zerzausen.
Während Isabel das Feuer im Ofen anfachte und Holz nachlegte, fielen Vernon, Chet und die beiden Brüder wie Steine auf ihre Lagerstätten. Jesse hingegen eilte zu dem Pappkarton, in dem die Waffen und das Geld lagen. Er verschmähte die Maschinenpistole und griff stattdessen nach einem Colt-Revolver. Schließlich brauchte er eine verlässliche Waffe. Vorsichtshalber steckte er auch noch eines der breiten Jagdmesser und eine Schachtel Munition ein. Anschließend griff er nach dem Schlüssel zu Chets Wagen – am besten nahm er den. Bald wurde es Morgen, und mit einem fliegenden Schlitten bewegte man sich nicht gerade unauffällig.
»Wo willst du hin?«, fragte Isabel.
»Ich mache eine kleine Holzweg-Tour mit Krampus.«
Sie musterte ihn einen Moment lang kritisch und schüttelte dann den Kopf. »Was?«
»Ich muss bloß was erledigen.«
Anspannung spiegelte sich auf ihrer Miene. »Pass auf dich auf.«
»Ich versuch’s«, antwortete er und ging hinaus.
Krampus fand er draußen bei den beiden Wölfen. Er rubbelte den Tieren über den
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