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Krampus: Roman (German Edition)

Krampus: Roman (German Edition)

Titel: Krampus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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Kuppe ein glänzender, verschmierter Blutstropfen zu sehen. Krampus leckte ihn ab.
    Jesse begutachtete seinen eigenen Finger. »Das war alles?«
    »Das war alles.«
    Seltsam, Jesse fühlte sich kein bisschen anders. Er betrachtete seine Hände. Die Haut war nach wie vor grau gefleckt.
    »Es dauert ein Weilchen«, erklärte Krampus. »Fürs Erste sollten wir …« Er verstummte. Dann beugte er sich vor und spähte angestrengt in den Himmel. Seine Stirn legte sich in Falten, und ein Ausdruck der Sorge und Verwirrung trat auf sein Gesicht.
    Alarmiert folgte Jesse seinem Blick und sah einen Stern, der Richtung Erde fiel.
    »Was ist das?«
    »Nein«, sagte Krampus nur und stand auf. Geri und Freki hoben die Köpfe, und ein tiefes, bedrohliches Knurren stieg aus ihren Kehlen auf. Die Sternschnuppe kam auf sie zu, wobei sie immer größer wurde. Krampus trat vor die Kirche und blickte zu dem pulsierenden Licht empor. »Das kann unmöglich sein. Nicht jetzt. Nicht so schnell.«
    Eine Stimme drang zu ihnen herab, kaum mehr als ein Flüstern. »Krampus«, hauchte sie.
    Jesse spürte sie mehr, als dass er sie hörte.
    Die Miene des Herrn der Julzeit verhärtete sich. »Nein, das ist nicht fair. Warum konnten sie nicht warten? Warum haben sie mir nicht ein bisschen mehr Zeit gelassen?«
    Die beiden Julböcke schnaubten und scharrten nervös im Schnee. Krampus ging zu ihnen und ergriff den am Schlitten befestigten Mistelspeer. Einen Moment lang stand er nur da, streichelte den Tieren gedankenverloren die Hälse und betrachtete dabei den Speer. Seine Miene war angespannt, sein Blick weit in die Ferne gerichtet. Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus, nickte, als wäre er zu einer bedeutenden Entscheidung gelangt, und ging mit schnellen Schritten auf Jesse zu.
    »Hier.« Er hob den samtenen Sack auf und drückte ihn Jesse in die Hand. »Die Schlüssel? Hast du meine Skelettschlüssel noch?«
    Jesse klopfte sich auf die Tasche. »Ja … wieso? Was ist …«
    »Anscheinend habe ich mich verschätzt, und meine Zeit hier ist weit knapper bemessen, als ich zu hoffen gewagt hatte. Du musst den Sack mitnehmen, in dein Gefährt steigen und weit weg von hier fahren.« Er umklammerte Jesses Schulter. »Du bist nun frei, deshalb muss ich dich darum bitten. Tu alles, damit ihm der Sack nicht in die Hände fällt. Fahr weit in die Berge und vergrabe ihn irgendwo. Verbrenne ihn, wenn es sein muss. Aber überlass ihn bloß nicht ihm. Bitte.«
    »Wie jetzt? Nein! Warum?«
    »Baldr ist im Anmarsch, und er hat mächtige Verbündete.«
    »Baldr? Aber …«
    »Die Karten sind gezinkt. Es ist ein grausamer Scherz. Doch ich werde nicht davonlaufen … diesmal nicht. Ich kann ohnehin nicht entkommen. Es dürfte interessant sein, zu erfahren, wie all das endet.« Krampus lächelte. »Findest du nicht auch?«
    Jesse wollte noch etwas sagen, aber Krampus schüttelte den Kopf. »Beeil dich. Mach dich auf den Weg, sonst ist die Gelegenheit verstrichen.« Krampus führte ihn die Stufen hinunter und schob ihn an der Kirche entlang. »Geh!«, rief er. »Beeil dich!«
    Verwirrt stolperte Jesse um die Ecke. Nach ein paar Metern hielt er inne, blickte zurück und fühlte sich mit einem Mal in den Bann der goldenen, leuchtenden Kugel geschlagen.
    Hinter Krampus, der ins Licht schaute, fiel sein langer Schatten auf den Schnee. Er hob den Speer und richtete ihn auf die Kugel. »Ich bin Krampus«, verkündete er feierlich, »der Herr der Julzeit. Ich verstecke mich nicht länger in einem Loch.«
    Die beiden Wölfe staksten mit gesträubtem Fell zu ihm und stellten sich links und rechts von ihm auf.
    Ein Laut erklang, weich und leise, der dennoch alles andere übertönte, ein Chor von tausend Stimmen, die ein Loblied sangen. Krampus wich nicht zurück, sondern richtete sich zu voller Größe auf und blieb mit herausgestreckter Brust und klarem, entschlossenem Blick stehen.
    Zwischen zwei Apfelbäumen landete die Kugel im Schnee, wo das goldene Licht verblasste und den Blick auf drei Gestalten freigab. In der Mitte stand Sankt Nikolaus in einem schweren weißen, mit dichtem Pelz gesäumten Gewand. Sein langer Bart und das offene Haar flatterten in der Morgenbrise. Links und rechts von ihm verharrten zwei geflügelte Männer – oder vielleicht waren es auch Frauen. Jesse wusste es nicht, denn sie hatten sowohl männliche als auch weibliche Züge. Ihre Gesichter waren streng, wunderschön und zugleich schreckenerregend. Eine schwache goldene Aura umgab sie,

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