Krampus: Roman (German Edition)
transportieren.«
»Was für ein Jammer.«
»Ja«, pflichtete ihm Nikolaus bei. »Geri weicht nicht von seiner Seite. Nicht einmal im Tod. Sie teilen das gleiche Schicksal.«
Sie beobachteten, wie Geri immer wieder um ihren Gefährten herumlief. Sie leckte ihm den Pelz und blickte einmal mehr zu dem weißbärtigen Mann empor. Ihr Bellen wurde wieder zu einem Winseln.
»Wir können sie nicht einfach so zurücklassen«, sagte Tahl. »Irgendetwas müssen wir doch unternehmen können.«
»Es ist traurig, aber sie gehören der Vergangenheit an, und ihre Zeit ist abgelaufen, wie die aller Uralten.« Nikolaus wandte sich ab und stieg auf den Schlitten. Der ältere Elf folgte ihm, aber der jüngere blieb zurück und schaute weiter zu den Geschöpfen hinab, deren Schicksal besiegelt war.
»Komm schon, Tahl«, rief Nikolaus. »Mach es dir nicht noch schwerer.«
Der Elf biss sich auf die Lippe, ließ den Hang und die beiden Wölfe zurück, rannte los und sprang auf den Schlitten. Der ältere Elf ließ die Zügel schnalzen, woraufhin die beiden Ziegen blökten, durch die Luft rannten und den Schlitten über die Bäume emporzogen. Tahl sah zu, wie die Wölfe unter ihnen immer winziger wurden, bis sie schließlich nur noch zwei einsame kleine Kleckse im Wald waren.
Nachdem der Schlitten hinter dem Bergkamm verschwunden war, legte die Wölfin den Kopf in den Nacken und jaulte. Der klagende, verlorene Laut hallte von den schneebedeckten Hügeln wider.
Kapitel 8
Hinterhalt
D as Heulen bohrte sich Krampus in den Schädel, ins Herz. Es war unvorstellbar leise, kaum ein Flüstern, nicht einmal das Echo eines Echos, und dennoch so schwer zu ertragen.
Das erste Licht der Morgendämmerung fiel zwischen den Latten der Holzverkleidung hindurch. Die anderen schliefen ungestört weiter, aber für Krampus gab es offenbar keine Flucht vor dem Klageruf. Welch Leid, dachte er. Er umklammerte den Sack, zog ihn auf seinen Schoß und versuchte krampfhaft, sich von dem Heulen abzulenken. Lokis Pfeil, dachte er, wenn wir ihn nicht finden, bin ich wehrlos. Voll und ganz konzentrierte er sich auf diese Aufgabe und versuchte, ihn sich in allen denkbaren Manifestationen vorzustellen. Allerdings hatte er nicht die geringste Ahnung, wie der sagenumwobene Pfeil aussah und wo er sich befinden mochte. Er musste sich auf den Sack verlassen, nicht nur um das Ding zu suchen, sondern um es zu finden, und der Sack forderte seinen Tribut. Wo bist du? Wo bist du nur?
Laut der Legende hatte Odin den Pfeil nach Muspell gebracht, ins Reich der Lava und des Feuers, wo er eingeschmolzen und für immer zerstört werden sollte, doch Hel hatte anderes berichtet. Krampus kniff die Augen zu, dachte an Asgard und vereinte seinen Geist mit dem Sack. Die verkohlten Ruinen Walhallas erschienen vor seinem geistigen Auge. Die umliegenden Ländereien waren abgebrannt, ein Friedhof bröckelnder Asche. Er fragte sich, wie lange es wohl noch dauerte, bis sie dieses geisterhafte Reich für immer verloren. Die Gebeine eines Schiffs in einem ausgetrockneten Meeresbett tauchten vor ihm auf. »Ringhorn, Baldrs Totenschiff«, flüsterte Krampus. »Hier muss er sein. Suche den …«
Erneut Geheul – klagend und durchdringend.
Die Vision verblasste. Krampus öffnete die Augen und sah einmal mehr das Innere der Kirche vor sich, die gequälte Miene des ans Kreuz geschlagenen Christus an der Wand. Er seufzte gedehnt und ließ den Sack zu Boden fallen. Die Erschöpfung saß ihm in den Knochen. Dann stemmte er sich hoch und trat ans Fenster, blickte hinaus in den eisigen Morgen, schaute zu, wie das fahle Licht zwischen den Eiszapfen tanzte, und lauschte dem Gesang der Vögel. Er sehnte sich danach, den ganzen Tag lang einfach nur dazusitzen und Sol dabei zuzusehen, wie sie durch die Winterlandschaft wanderte. Aber für solche Kindereien hatte er keine Zeit, solange Baldr noch atmete.
Wieder erklang das Heulen.
Geri, da war Krampus sich sicher. Die Sprache der Tiere glich der seinen, und er hatte ein besonderes Band zu den Wesen der Vorzeit. Das Heulen kündete nicht bloß von Schmerz, sondern von Verlassenheit. Krampus schüttelte den Kopf. Er hat sie zurückgelassen. Odins mächtige Tiere, allein zum Sterben zurückgelassen. Er merkte, wie er die Fingernägel in den Handballen bohrte. Für eine solche Tat würde Odin ihn aufs übelste verwünschen.
Ein weiteres Heulen.
Doch er trägt die Schuld nicht allein, denn auch ich hatte bei dieser Sache die Hand im Spiel. Das kann ich
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