Krampus: Roman (German Edition)
nicht abstreiten. Würde ich mich genauso verhalten wie er? Würde ich danebenstehen und nichts tun? Sie sterben lassen? Würde ich zulassen, dass diese prachtvollen Tiere von der Welt verschwinden? Er schüttelte den Kopf. Jemand muss etwas unternehmen.
Krampus drehte sich um. Er wusste, was zu tun war, dennoch zögerte er. Es könnte einer seiner Tricks sein. Eine Falle. Eine Täuschung, um mich aus meinem Versteck zu locken. Er holte tief Atem. Vielleicht … vielleicht aber auch nicht. Manche Risiken muss man eingehen.
»Erhebt euch«, rief Krampus.
Die Belznickel hoben die Köpfe, setzten sich auf und schauten sich um, als wären sie sich nicht sicher, wo sie sich befanden und wie sie hierhergelangt waren. Auf Jesses Gesicht spiegelte sich dagegen keine Verwirrung. Er richtete sich schnell auf, die Hände noch immer zusammengebunden, die Beine an eine Kirchenbank gefesselt. Krampus konnte ihm die Konzentration ansehen, seinen Hass; der Mann machte keinen Hehl daraus. Der Alte dachte daran, wie überrascht Jesse wohl gewesen wäre, wenn er erfahren hätte, wie gut er, Krampus, diesen Hass verstand. Ihm gefiel der Kampfgeist dieses Mannes, und er hätte ihm gerne gesagt, dass er durchhalten sollte und dass er, der Herr der Julzeit, sein Versprechen einlösen würde, doch er wusste, dass solche Worte vergeblich waren, solange Jesse an einem so finsteren Ort weilte.
»Wir brechen auf. Beladet den Wagen. Ich habe etwas zu erledigen.«
Sie sahen ihn verwundert an.
»Wir müssen den Wolf finden.«
***
»Das ist schlicht und ergreifend dumm«, sagte Jesse, der die vereisten Spurrinnen sorgfältig im Auge behielt, während er seine Taschen abklopfte, in der Hoffnung, irgendwo noch eine Zigarette zu finden.
»Ob es nun dumm ist oder nicht«, antwortete Isabel, »er hat seine Entscheidung getroffen.« Sie trug immer noch die seltsame Pandamütze, die er ihr gekauft hatte. Tatsächlich hatte sie das Ding nicht ein einziges Mal abgenommen, weshalb es ihm schwerfiel, sauer auf sie zu sein.
Jesse fuhr im Schneckentempo durch einen kleinen Bach. Er schüttelte den Kopf. Auf der Hauptstraße hatten sie Glück gehabt, bisher waren ihnen nur zwei Sattelschlepper auf Überlandfahrt begegnet. Aber bald würde der Morgenverkehr einsetzen, und es gab keine Garantie dafür, dass sie auf der Rückfahrt glimpflich davonkamen. »Wegen ihm kommen wir noch alle um. Dumm, dumm, dumm.«
»Manchmal ist er schwer zu verstehen«, sagte Isabel. »In einem Moment will er alle umbringen, und im nächsten weint er um ein paar tote Vögel.«
»Mir hat ein Zusammenstoß mit den Wölfen gereicht.« Im Rückspiegel beobachtete Jesse Krampus und die Belznickel, die in der zerfetzten Campingkabine hockten. Wachsam spähten sie in den Wald und hielten nach Spuren der Wölfe, des Weihnachtsmanns und von wer weiß was Ausschau. Sie hatten die Hände voller Waffen, von Speeren über Messer bis hin zu einer Maschinenpistole, während Krampus sich an den Sack klammerte wie ein Kind an seine Kuscheldecke. Seine Augen schienen alles förmlich aufzusaugen.
Als sie an den überall verstreuten Videospielverpackungen vorbeikamen, klopfte Vernon an die Scheibe. »Krampus möchte, dass du umdrehst. Er glaubt, dass wir schon vorbei sind.«
Jesse suchte eine breitere Stelle, wendete und fuhr langsam wieder den Berg hinunter. Nach einem knappen halben Kilometer hob Krampus die Hand. Jesse trat behutsam auf die Bremse – auf der vereisten Fahrbahn musste er vorsichtig sein. Langsam kamen sie zum Stehen.
»Er will, dass du den Motor ausschaltest«, sagte Vernon gedämpft, als könnten die Wölfe sich unter dem Wagen versteckt haben.
Das hielt Jesse allerdings für keine gute Idee. Er wollte jederzeit aufs Gas treten und von hier verschwinden können, für den Fall, dass eines der Tiere auftauchte, und man konnte sich selbst bei warmem Wetter nicht darauf verlassen, dass der alte V8-Motor sofort ansprang. »Ich weiß nicht, ob ich …«
»Leise«, sagte Vernon und legte einen Finger an die Lippen. »Er lauscht nach ihnen.«
Jesse verdrehte die Augen und schaltete den Motor ab.
Krampus schlüpfte aus dem Wagen, gefolgt von den Belznickeln. Die Shawnees, die ihre Pistolen und Messer am Gürtel trugen und die Speere kampfbereit hielten, suchten mit Blicken die Umgebung ab. Vernon kam ans Fenster auf der Fahrerseite. Er fummelte an der aufgemotzten M-10 herum, die er mitgebracht hatte, ohne zu merken, dass er sie dabei auf Jesse richtete. »He«,
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