Krampus: Roman (German Edition)
hinter sich Geheul hörte. Er wagte es nicht, auch nur einen Blick über die Schulter zu riskieren. All seine Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, den Wagen auf der vereisten Straße zu halten. Kurz darauf bretterte er zwischen den Sträuchern hervor und hob tatsächlich kurz mit den Vorderreifen ab, als er auf die Hauptstraße einbog. Ein Hupen erklang, gefolgt von quietschenden Bremsen. Jesse geriet ins Schlingern und stieß beinahe mit einem heranbrausenden Sattelschlepper zusammen. Er richtete den Wagen wieder aus, trat erneut aufs Gas und fuhr über die Route 3 Richtung Goodhope.
***
Kurz vor der Stadt bog Jesse in den langen Kiesweg ein, der zum Haus von Lindas Mutter führte, und fuhr auf den Wendeplatz am Bach. Er ließ den Motor laufen, sprang hinaus, drehte die vier Schrauben los, die die Reste der Campingkabine hielten, und schob sie ins Gebüsch. Er konnte sich nicht erinnern, den Wagen jemals ohne den Aufsatz auf der Ladefläche gesehen zu haben, und erkannte ihn kaum wieder. Hoffentlich würde es allen anderen genauso gehen.
Er stützte ein Knie auf das lädierte Heck, schob den Sack beiseite und zog die 22er hervor. Nicht viel, aber wenn Abigail noch bei Dillard ist, genügt sie vielleicht. »Moment mal.« Er betrachtete den Sack, und als ihm einfiel, wie Krampus die Rinderkeule daraus hervorgezogen hatte, beschleunigte sich sein Puls. »Die Kirche? Ja, garantiert. Er müsste sich immer noch zur Kirche hin öffnen. Und was ist dort?« Er lachte auf.
Jesse zog den Sack zu sich her und starrte ihn eine ganze Weile an. »In Ordnung. Wollen wir mal sehen, was du so alles draufhast.« Er löste die Kordel, schloss die Augen, dachte an die Maschinenpistolen und steckte den Arm hinein. Mit der Hand tastete er eine Weile durch die Leere, und für einen langen Moment dachte er, dass die Pforte sich geschlossen hätte, doch dann trafen seine Finger auf etwas, das sich wie Pappe anfühlte, und kurz darauf auf kalten, harten Stahl. Er zog den Arm hervor und lächelte: eine der Mac-10-Maschinenpistolen. Im Moment war sie für ihn das Schönste, was es auf der Welt gab. Er dachte an die Munitionsstreifen, rief sich das entsprechende Bild vor Augen und griff wieder in den Sack. Da waren sie. Er zog zwei davon hervor. »Damit sollten meine Chancen etwas besser stehen.«
Damit warf er den Sack auf den Beifahrersitz und stieg wieder ein. Im Wagen hielt er die Maschinenpistole hoch und richtete den Blick in den Himmel. »Danke, Gott.« Er küsste die Waffe. »Ich verstehe das so, dass du auf meiner Seite bist.«
Jesse fuhr über die Auffahrt von Lindas Mutter bis zur Rückseite des Hauses. Er schulterte die Waffe, sprang aus dem Wagen und rannte die Stufen zur Hintertreppe hoch. Ohne zu klopfen, platzte er herein und eilte auf der Suche nach einer Spur von Linda oder Abigail von Raum zu Raum.
»Linda!«, rief er. »Abi!«
»Jesse?« Polly spähte die Treppe herunter und hielt dabei ihren Hausmantel zu.
Er rannte die Stufen hinauf. Als sie die Waffe über seiner Schulter sah, wich sie zurück.
»Wo sind die beiden?«, fragte er gehetzt. »Wo ist Abigail?«
»Sie sind nicht hier?«
Er schob sich an ihr vorbei und warf einen hastigen Blick in die beiden Schlafzimmer.
»Jesse, was ist denn nur in dich gefahren? Man stürmt doch nicht einfach in ein fremdes Haus und …«
»Haben Sie noch mal mit Linda geredet? Haben Sie etwas von ihr gehört?«
»Sie sagte nur, du wärst in Schwierigkeiten. Jesse, was für Schwierigkeiten sind das?«
Er sah sie verzweifelt an. »Abigails Leben steht auf dem Spiel. Wenn Sie etwas wissen, sagen Sie es mir bitte.«
»Dillard besteht darauf, dass sie sein Haus nicht verlassen. Mehr will Linda nicht sagen. Sie meinte, dass ich nicht rüberkommen soll.« Pollys Augen füllten sich mit Tränen. »Ich habe solche Angst. Jesse, bitte sag mir, was los ist.«
»Vielleicht sind sie dann noch in Sicherheit.« Er rannte wieder hinunter.
Im Hausflur holte Polly ihn ein. »Warum sagt mir niemand, was los ist?«
Jesse nahm den Hörer von der Gabel des alten Wählscheibentelefons. »Wie ist Dillards Nummer?«
»Oh nein. Auf keinen Fall, mein Herr. Die verrate ich dir nicht. Du machst sonst nur noch mehr Ärger.«
»Ich will bloß wissen, ob sie da ist. Ich sage kein Wort.«
»Du wirst alles schlimmer machen.«
»Es kann nicht noch schlimmer werden. Sie wollen ihnen etwas antun … Linda und Abigail.«
»Jesse, du hast die beiden in diese Lage gebracht, nicht wahr?
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