Krampus: Roman (German Edition)
verschwunden, genau wie der Schmerz, zumindest weitgehend. Ich lebe noch! Langsam schob er den Ärmel hoch. Er hatte Angst, hinzuschauen, weil er nur allzu gut wusste, was ihn erwartete. Seine Haut war grau und schwarz gesprenkelt.
»Nein«, sagte er. »Nein, das hast du nicht getan!« Er funkelte Krampus finster an.
Der nickte lächelnd. Jesse zog sein Hemd hoch und betrachtete seinen Bauch. Er konnte sehen, wo die Nägel gesteckt hatten, die Wunden waren noch da, doch es quoll kein Blut aus ihnen hervor, wie man es eigentlich hätte erwarten sollen. Stattdessen schienen sie fast verheilt zu sein.
»Ich habe dir ein neues Leben gewährt«, sagte Krampus.
»Du hast ein Monster aus mir gemacht.«
»Gewissermaßen.«
Jesse hob die Hände, bewegte die Finger und verzog das Gesicht. Sie waren steif und schmerzten, aber es war kaum noch etwas davon zu bemerken, dass sie gebrochen waren. »Wie … wie ist das möglich?«
»Mein Blut hat diese Wirkung«, sagte Krampus mit unverhohlenem Stolz.
»Ist ja wunderbar. Glaube ich jedenfalls. Und jetzt verwandele mich bitte zurück.«
Krampus runzelte die Stirn. »Warum sollte ich?«
»Weil ich es dir sage.«
»Genug gesungen«, rief Krampus, und die beiden Männer hielten inne. »Jesse, du bist durcheinander. Hier gibt nur einer von uns beiden die Befehle, und ich fürchte, das bist nicht du.«
Jesse packte den Herrn der Julzeit am Arm. »Das ist mir so was von egal. Du wirst mich zurückverwandeln. Auf der Stelle!«
»Lass meinen Arm los. Ich befehle es dir.«
Zu Jesses eigener Überraschung tat sein Körper wie geheißen, als säße ein anderer am Steuer, während er selbst nur Zuschauer war. Er riss die Augen auf. »Mann, das ist ja echt übel.«
Jemand kicherte, und Jesse sah, wie Chet ihm im Rückspiegel höhnisch zugrinste.
»Was glotzt du so?«
»Willkommen im Klub, du Volltrottel«, sagte Chet.
»Das kannst du nicht machen«, sagte Jesse zu Krampus.
»Möchtest du lieber tot sein?«
Im ersten Moment wollte Jesse die Frage bejahen, doch dann war er sich nicht mehr so sicher. »Verwandele mich einfach zurück.«
»Das kann ich nicht.«
»Du kannst nicht oder du willst nicht?«
Krampus zuckte mit den Schultern.
»Du verdammter Hurensohn.«
»Wir müssen ein großes Übel beheben. Du und ich. Wir werden Nikolaus töten. Wenn das vollbracht ist und du mir bereitwillig zu Diensten bist, dann kümmern wir uns vielleicht auch um das andere Übel, diesen Dillard, falls du das dann noch willst.«
Jesse wurde schweigsam. Das wollte er allerdings, aber was bedeutete es, ein Belznickel zu sein? War er nun zu einem Leben in Sklaverei verdammt? Durfte er sich wirklich darauf verlassen, dass Krampus sein Angebot einlöste? Er konnte es unmöglich wissen. Immerhin wusste er, dass man ihm ein zweites Leben geschenkt hatte, und vielleicht eine zweite Chance, sich Dillard vorzuknöpfen und ihn zu töten, wenn es denn sein musste, um seine Abigail zu retten. Allein darauf kam es an.
***
Chet fuhr über die schmale Auffahrt und hielt hinter der Kirche. Ein riesiger Wolf stand mit gesträubtem Fell neben der großen Eiche. »Oje, was ist denn das schon wieder für ein Mist?«, fragte Chet.
Im nächsten Moment stürmten die drei Shawnees mit Speeren und Pistolen in den Händen aus der Kirche. Als Krampus ausstieg, stießen die Shawnees ein Johlen aus. Das Fell des Wolfs glättete sich, und er kam herangetrottet. Er leckte dem Herrn der Julzeit die Hand, der ihn daraufhin hinter den Ohren kraulte. Der Wolf wedelte mit dem Schwanz.
»Raus, alle raus«, befahl Krampus, und Chet, Jesse und der General stiegen ebenfalls aus.
Jesse setzte die Füße in den Schnee und stellte fest, dass er unterwegs einen Stiefel verloren hatte. Er spürte die Kälte am nackten Fuß, doch seltsamerweise schmerzte sie nicht. Obwohl deutlich unter null Grad herrschten, spürte er den Frost kaum. Mit einem Mal fiel ihm auf, dass er den Schnee riechen konnte und auch das tote Laub darunter. Er atmete tief ein; alles war auf einmal frischer und klarer: Gerüche, Geräusche, Farben. Er vermutete, dass auch das auf das Blut von Krampus zurückzuführen war.
Chet und der General pressten sich an den Wagen. Ihre Blicke huschten zwischen den Shawnees und dem Wolf hin und her, als rechneten sie jeden Moment damit, aufgefressen zu werden.
Isabel kam die Stufen des Hintereingangs herunter, sah Jesse und stieß einen Schrei aus. »Krampus! Nein! Du hast es versprochen. Dein Eid.«
»Spar dir deine
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