Krampus: Roman (German Edition)
Wut für eine bessere Gelegenheit auf, junge Löwin. Er hat den Eid gebrochen, nicht ich.«
Sie ging zu Jesse und berührte sein Gesicht mit den Fingerrücken. »Himmel, es tut mir ja so leid.«
»Es hätte schlimmer kommen können«, sagte Jesse und stellte zu seiner Überraschung fest, dass er es ernst meinte.
»Kommt«, sagte Krampus und ging mit erwartungsvoll zuckendem Schwanz voran in die Kirche.
Chet und der General blieben neben dem Wagen stehen, als wären sie am Boden festgefroren. Makwa deutete mit seinem Speer auf die Stufen. Die beiden wechselten einen sorgenvollen Blick und stapften Krampus dann hinterher, als müssten sie durchs Höllentor marschieren.
Jesse betrat die Kirche und stellte fest, dass der zweite, größere Wolf auf der Seite lag. Er hob den Kopf und behielt die Neuankömmlinge wachsam im Auge. Der kleinere näherte sich ihm und leckte ihm übers Gesicht. Isabel nahm eine der Metflaschen zur Hand und goss etwas davon vor dem Wolf in eine Bratpfanne. Das Tier leckte den Met auf. »Das ist Freki«, sagte Isabel und streichelte ihm übers Fell. »Es geht ihm schon viel besser.«
»Was er nicht dir zu verdanken hat«, sagte jemand in unverhohlen feindseligem Tonfall. Es war Vernon, der Jesse finster anstarrte. »Wir mussten ihn aus der Schlucht tragen. Das verdammte Biest wiegt eine Tonne.« Vernon ging zu Jesse und blickte zu ihm auf, die Augen zu zwei wütenden Schlitzen verengt. »Du hast mich geschubst.«
»Ja, das habe ich.«
»Du bist ein Dreckskerl. Weißt du das?«
»Ja, allerdings.«
»Wir sind an die fünfzehn Kilometer durch den Wald hierher zurückgelaufen. Dabei mussten wir ihn die ganze Zeit tragen. Die ganze Zeit. Das ist eine enorme Strecke, wenn man einen riesigen Hund mit sich herumträgt.«
»Vernon«, sagte Isabel. »Hör auf rumzujammern. Das geht schon eine halbe Ewigkeit so. Langsam fällst du uns allen auf die Nerven.«
»Dich hat ja auch niemand von der Bergkante geschubst. Nicht wahr?«
»Du bist den Berg überhaupt nicht runtergefallen, sondern in einem Baum hängengeblieben.« Sie lachte. »Du hast ausgesehen wie ein Waschbär am Stiel.«
Vernon zog eine finstere Miene, schüttelte den Kopf und ging weg. »Eines Tages werde ich aus diesem gottverdammten Albtraum erwachen. Eines Tages, und hoffentlich bald.«
Krampus warf den Sack in der Mitte des Raums ab. »Kommt alle her … zu mir.« Er streckte den Speer aus. »Ich habe ihn!« Die Shawnees eilten zu ihm. »Der Moment, auf den wir seit Jahrhunderten warten, ist gekommen. Heute ist der Tag, an dem ich mich Baldr stelle. Heute ist der Tag, an dem ich ihn für alle seine Verbrechen bezahlen lasse!«
Mit leuchtenden Augen blickte er von einem Gesicht zum nächsten. »Ich will euch sagen, warum ihr niemals denselben Fehler wie ich begehen und Mitleid mit diesem Ungeheuer empfinden dürft. Warum man ihn unschädlich machen muss wie einen tollwütigen Hund.« Er legte Jesse eine Hand auf die Schulter. »Ich habe dir von seiner Verkleidung erzählt, von seiner Verehrung für Sankt Nikolaus, aber seine Falschheit kannte keine Grenzen. Lasst mich nun den Rest der Geschichte mit euch teilen.«
Jesse schüttelte den Kopf. »Ich kann dich sowieso nicht davon abhalten, stimmt’s?«
Die Stirn des Herrn der Julzeit legte sich in Falten, und Jesse fürchtete schon, dass er zu weit gegangen war, als sich ein Lächeln auf die Züge des Alten stahl.
»Nein … nein, das kannst du nicht. Niemand kann mich davon abhalten. Nicht mehr. Diese Geschichte soll erzählt werden … immer wieder, bis die ganze Welt die Wahrheit hinter der Lüge kennt.«
Krampus packte den Speer mit beiden Händen. »Es ist eine Geschichte des Verrats, die Geschichte eines verkommenen Geschöpfs ohne Gewissen, das nichts kümmert außer seinem eigenen verblendeten Ehrgeiz. Denn selbst, nachdem ich ihn in mein Haus aufgenommen hatte, selbst, als ich ihn wie einen Bruder behandelte, selbst nach meiner Mildtätigkeit verriet er mich, und er verriet ganz Asgard.« Ein Feuer brannte in den Augen des Erzählenden. »Er hat mir alles genommen und mich in sein Verlies gesperrt. Hat ihm das genügt? Nein. Er wollte mehr, er wollte meinen Namen aus der Welt tilgen. Er glaubte, dass er die Menschen vergessen machen, dass er sie dazu bringen könnte, die Julzeit und ihren Herrn zu verdrängen.«
Krampus lachte. »Aber er hat meinen mächtigen Geist unterschätzt, denn selbst im fünfzehnten Jahrhundert gab es noch Menschen, die die alten
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