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Krampus: Roman (German Edition)

Krampus: Roman (German Edition)

Titel: Krampus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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Traditionen ausübten und mir Tribut zollten. Das behagte unserem geliebten Baldr nicht. Er kam zu dem Schluss, dass etwas getan werden musste. Zur darauffolgenden Weihnacht ließ er mich in Ketten aus seiner Festung tragen und auf einen Thron aus faulem Gemüse setzen, auf einem von Ziegen gezogenen Karren. Er band mir eine Heugabel an den Arm und legte mir ein Halsband aus Ziegenzungen um. Dann kleidete er seine Diener in Mäntel aus schmutzigem Pelz und ließ sie gehörnte Masken und Ketten tragen. So führten sie mich auf dem Land, in der Stadt und auf den Dörfern vor, während sie sich tanzend und tollend, fauchend und knurrend wie dumme Tiere über mich und alles, wofür ich stand, lustig machten. Baldr rief dazu in seiner Sankt-Nikolaus-Verkleidung: ›Seht, es ist der Teufel, Krampus. Nichts weiter als ein dummer, alter Sack.‹ Die Dörfler bewarfen mich mit Erdklumpen und Mist, während die Kinder mich mit Stöcken piesackten. Ich war so schwach und ausgelaugt, dass ich nur den Kopf hängen lassen konnte. Doch er ging noch weiter, da er mit der Macht der Lüge wohlvertraut war. Er druckte Plakate, auf denen ich, der Herr der Julzeit, als jämmerlicher, böser Kobold zu sehen war, als gemeiner Trottel, und ließ sie überall im Land aufhängen. Jahr für Jahr ging das so, und er versprach mir, dass es kein Ende haben sollte, es sei denn, ich enthüllte ihm das Geheimnis des Sacks.«
    Krampus machte eine kurze Pause, ehe er weiterredete. »Es hatte trotzdem ein Ende, irgendwann zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts wohl, wobei das schwer zu sagen ist, weil ich bereits jedes Gefühl für das Verstreichen der Zeit verloren hatte. Gerade als ich dachte, dass er mich vergessen hätte, tauchte er vor meiner Zelle auf. Allerdings erkannte ich ihn nicht, zumindest nicht im ersten Moment. Die Maske des dünnen, frommen Heiligen war dahin, stattdessen stand nun eine kräftige Gestalt in lächerlicher Kostümierung vor mir. Er trug einen Umhang, der bis zum Boden reichte, und darunter einen Mantel, beides scharlachrot und mit weißem Pelz gefüttert. Ein breiter schwarzer Gürtel lag um seine Hüften, und ein hoher, spitzer Hut mit goldenen Sternen saß auf seinem Kopf. Sein Haar und der Bart waren inzwischen so dicht und lang, dass seine Schultern darunter verschwanden. Er sah aus wie ein schwachsinniger Zauberer. Er stellte sich mir als der Weihnachtsmann vor, erzählte mir, dass er Lokis Sack seinem Willen unterworfen habe und den Teufel nun nicht mehr brauche … dass es Zeit für Krampus sei, endgültig dem Vergessen anheimzufallen. Er ließ mich von seinen Dienern fesseln und auf seinen Schlitten setzen. Dann flog er mit mir über den großen Ozean nach Amerika, dem neuentdeckten Kontinent, in die entlegensten, finstersten Berge und kettete mich in einer Höhle tief im Fels an, wo mich niemand jemals finden würde. Dort ließ er mich zurück, damit ich in meinem Loch versauerte. Ich saß da und wartete. Fünfhundert Jahre verbrachte ich dort unten und wartete auf eines: auf den Tag, an dem ich freikommen würde, jenen Tag, an dem ich Baldr töten würde.«
    Krampus richtete sich nun direkt an Jesse. »Jeden Tag überlegte ich aufs Neue, wie ich es bewerkstelligen sollte. Wie ich entkommen würde, wie ich ein Wesen töten würde, das sich nicht töten lässt. Die Zeit verging, und nachdem die Europäer den amerikanischen Kontinent eingenommen hatten, ließ ich mir von meinen Belznickeln Zeitungen und Bücher bringen. So hielt ich mich über seine Taten auf dem Laufenden und beobachtete, wie sich seine Lügen über den ganzen Erdball verbreiteten. Ich zeichnete Karten und verfolgte seine Bewegungen, bis ich irgendwann seine Methode und den Weg begriff, dem er folgte. Schließlich passte alles zusammen, und als er endlich nach Goodhope kam, war ich bereit. Und wie!
    Jetzt bin ich bereit, alldem ein Ende zu setzen und seine Lügenherrschaft zu stürzen. Ich bin bereit, mir das zurückzuholen, was mir zusteht!«
    Krampus richtete den Speer zum Himmel und heulte. Die Shawnees warfen die Köpfe in den Nacken und stimmten ein, und da schlossen sich auch die Wölfe an. Der grausige, unirdische Laut hallte im Gebälk der alten Kirche wider und verursachte Jesse eine Gänsehaut. Chet, der General und Vernon machten elende Gesichter.
    Jesse konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. Töten wir wirklich den Weihnachtsmann?

    ***

    Über Lokis Sack gebeugt stand Krampus da, die Belznickel bildeten einen Kreis um ihn. Neun

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