Krank für zwei
das eigentlich klar?«
Beschwichtigend hob ich die Hand. »Immerhin habe ich Ihnen gestern Abend den entscheidenden Tip in Sachen Wolkov gegeben«, verteidigte ich mich. »Wer weiß, wann Dr. Lübke Sie darüber informiert hätte.«
»Verschonen Sie mich mit Ihrer Heldentat und zeigen Sie mir jetzt bitte die Locke!«
»Natürlich!« Hastig ging ich vor der Kommissarin zu meinem Zimmer zurück. Frau Peters war gerade dabei, sich von ihrem Mann zu verabschieden. Eilig ging ich an den beiden vorbei zu meinem Nachtschränkchen und zog die Schublade auf. Eigentlich überwog das Gefühl, daß ich das Schlimmste bereits hinter mir hatte. Leider hielt dieses Gefühl nicht lange an.
»Hier! Ich habe sie hier drin aufbewahrt.« Nervös schaute ich die Schublade durch. Ich hatte die Locke doch ganz obenauf gelegt! Aber sie war weg! Sie war einfach weg!
»Die Locke«, stammelte ich. »Ich habe sie wirklich hier hineingelegt. Glauben Sie mir. Aber sie ist nicht mehr da!«
Marlene Oberste sah mich an, als wollte sie mich auffressen. Dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Frau Peters blickte mich verstohlen an. Inzwischen war ich sicherlich nicht nur als schlechter Lehrer gespeichert, sondern als jemand, der die Grenze zur Kriminalität längst überschritten hatte. Instinktiv hastete ich hinter Marlene Oberste her. Ich erwischte sie ein paar Türen weiter.
»Frau Oberste«, erklärte ich. »Das sieht jetzt ganz unmöglich aus. Das weiß ich. Diese Locke muß gestohlen worden sein. Ich war eben eine Weile nicht im Zimmer. Und mein Bettnachbar ebenfalls. Er hatte eine Untersuchung. In der Zeit muß jemand drinnen gewesen sein und die Locke genommen haben.«
Marlene Oberste sah gar nicht mehr ärgerlich aus, eher nachdenklich.
»Wann genau war das Zimmer leer?«
Ich blickte auf die Uhr. »Ich war ungefähr eine halbe Stunde lang in der Kapelle – so zwischen halb sechs und sechs würde ich sagen.«
Die Kommissarin grübelte weiter.
»In der Kapelle habe ich übrigens die Krankenhausseelsorgerin kennengelernt«, erklärte ich. Ich war nicht sicher, ob Frau Oberste mir wirklich zuhörte. »Sie hat erzählt, daß Eva Peuler sie gestern angerufen und um ein Gespräch gebeten hat. Die Seelsorgerin hatte das Gefühl, Frau Peuler habe etwas auf dem Herzen. Sie sprach von irgendeiner alten Geschichte, derentwegen ihr Mann wahrscheinlich umgebracht worden sei. Heute hätten die beiden einen Termin gehabt. Aber da war Frau Peuler schon tot.« Ich kramte in meiner Hosentasche nach dem Zettel. »Dies ist die Telefonnummer der Krankenhausseelsorgerin. Außerdem ihre Adresse. Sie ist den ganzen Abend zu Hause.«
Marlene Oberste nahm den Zettel an sich. »Danke.«
Mein Gott, die Frau war entweder in Trance oder sie wurde richtig nett.
»Vielleicht glauben Sie mir die Geschichte mit der Locke nicht«, versuchte ich es noch einmal. »Womöglich denken Sie, ich wollte mich nur wichtig machen. Aber das stimmt nicht. Die Locke war wirklich da, glauben Sie mir.«
»Ich weiß«, sagte Hauptkommissarin Oberste zu meiner Überraschung. »In dem gestohlenen Auto, mit dem Eva Peuler überfahren wurde, haben wir ebenfalls eine schwarze Locke entdeckt. Sie klebte im Handschuhfach. Und ich wette hundert zu eins, daß die Haare von ein und derselben Person stammen.«
Ich war baff und wußte nur eins: Ich würde nicht dagegen wetten.
37
Meine Situation wurde mir erst später so richtig bewußt. Jemand war in meinem Zimmer gewesen und hatte die Locke mitgenommen. Das konnte niemand anders sein als der Täter! Als ich Alexa von diesem Gedanken erzählt hatte, wollte sie sofort, daß ich Polizeischutz anfordere. Ich selbst hatte eher mit dem Gedanken gespielt, frühzeitig nach Hause zu gehen. Dann allerdings hatte ich mich dagegen entschieden. Wenn der Täter mich kannte und tatsächlich meinte, daß von mir eine Gefahr ausginge, dann wußte er auch meine Adresse. Wenn er mir an den Kragen wollte, dann konnte er mich genauso gut zu Hause suchen. Und das wollte ich Alexa nicht zumuten. Diese ganzen Mordangelegenheiten waren sowieso schon zu viel. Da mußte ich nicht noch dafür sorgen, daß wir die ganze Nacht mit einem Ohr an der Haustür lägen, um zu horchen, durch welchen Eingang der Täter ins Haus eindrang. Dann schon lieber Polizeischutz. Allerdings hatte ich Frau Oberste schon wieder nicht erreicht. Der Beamte auf dem Präsidium meinte, sie habe wohl ihr Handy ausgeschaltet. Und Vedder sei auch nicht erreichbar. Einen Moment lang
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