Krank für zwei
wunderlicher.
»Ja, und zwar deshalb«, Frau Dreisam führte die Erklärung nun fort, »weil der Dr. Peuler in Paderborn eine viel bessere Stelle hätte bekommen können, auch als Chefarzt, aber an einer viel größeren Klinik.«
»Das ist interessant«
»Dr. Peuler hatte die Stelle eigentlich schon zugesagt«, erläuterte Hilde weiter. »Er war ja Oberarzt in Soest gewesen und hatte sich dann an einer Klinik in Paderborn beworben. Aber kurz vorher wollte er plötzlich nicht mehr.«
»Ich finde das sehr anständig«, sagte Herr Dreisam, »daß sich der Herr Doktor für uns entschieden hat.«
»Aber warum?« fragte ich. »Haben Sie irgendeine Ahnung, warum das so gelaufen ist?«
»Das konnte der Fritthelm schon damals nicht beantworten.«
»Vielleicht hat es ihm einfach so gut gefallen, hier im Sauerland?« Frau Dreisam blickte ihren Mann lächelnd an. Klar, die beiden waren sich einig. Ich selbst aber witterte eine Spur, einen winzigen Hinweis, einen Stolperstein in Peulers Biographie. Unter Umständen gab es irgendeine brisante Geschichte, die dazu geführt hatte, daß Peuler die Stelle in Paderborn nicht angetreten hatte.
»Ihnen auf jeden Fall eine gute Genesung!« wandte sich Frau Dreisam plötzlich wieder an mich. »Wenn wir gewußt hätten, daß Sie auch hier auf Station liegen, dann hätten wir uns natürlich mehr Zeit mitgebracht.«
»Ach danke«, wehrte ich ab. »Ich komme ja schon bald wieder raus.«
»Auch dann müssen Sie sich weiter pflegen. Das ist Ihnen hoffentlich klar.«
»Natürlich, sonst –« Ich legte wie Herr Dreisam den Handrücken an die Kehle. Es war mir wichtig zu signalisieren, daß ich die Gefahr für mein Leben erkannt hatte.
»Aber Sie sind ja jetzt verheiratet«, flocht meine ehemalige Wirtin noch ein. »Da sind Sie ja in besten Händen.«
»Genau«, flötete ich. »Und meine Frau ist noch dazu Tierärztin. Die kennt sich mit organischen Gebrechen bestens aus.«
»Na dann!« Die Dreisams wandten sich zum Gehen. Dann drehte sich Hilde aber doch noch einmal um. »Ihre Frau – das wollte ich Sie immer schon mal fragen – was ist das eigentlich für eine geborne?«
»Eine geborene?« Was mußte ich jetzt sagen? Die Kaste benennen? Ihr Familienstammbuch aufsagen? Dann fiel mir die richtige Antwort ein.
»Eine Schnittler«, sagte ich und war froh, daß ich im sauerländischen Gewinnspiel triumphiert hatte. »Sie ist eine geborene Schnittler.«
Die Dreisams lächelten, winkten und machten sich schließlich von dannen. Trotzdem konnte ich ein paar Bruchstücke ihrer weiteren Unterhaltung mit anhören: »ob das von den Schnittlers aus der Gartenstraße« – »aber die hatten doch nur Jungs« – »womöglich von dem Jüngsten eine Tochter«.
Ach, wie liebte ich das Sauerland. Und nicht nur das. Ich hatte sogar eine Tochter dieser holden Region geehelicht. Was würde man wohl über unsere Kinder sagen? »Ist das nicht einer von Jakobs? Wo der Vatter am Elisabeth-Gymnasium ist?« Nein, ganz sicher würde man das nicht sagen. Ich brauchte mir nichts vormachen. Bei unseren Kindern würde es eher heißen: »Ist das nicht einer von der Schnittlers Seite? Von Schnittlers Alexa der Älteste?« So würde es sein. Auch, wenn ich noch dreißig Jahre hier leben sollte. So würde es sein und nicht anders.
Trotzdem konnte mich diese Einsicht nicht erschüttern. Ich hatte eine Entdeckung gemacht, eine wichtige Entdeckung, die Peulers Leben betraf – und vielleicht auch seinen Tod. Davon mußte ich Alexa erzählen – meiner Alexa, die von Schnittlers Hans die Jüngste war.
38
Marlene Oberste stieg aus dem Auto und sog die Waldluft in ihre Lungen. Sie hatte einen Moment Abstand gebraucht. Zehn Minuten ohne Telefonat und ohne die Nachfrage eines Kollegen. Jetzt stand sie hier in der Sonne und genoß den grandiosen Blick über das Tal. Nichts als Wälder, Wiesen, Kühe und zwei Hochsitze. Mitten durch die Idylle plätscherte ein kleiner Bach, über den eine urige Holzbrücke führte. Verdammt schön die Gegend, das mußte man zugeben. Wenn man hügelige Landschaften liebte, kam man im Sauerland voll auf seine Kosten. Sie mußte daran denken, daß Peulers Sekretärin eine leidenschaftliche Wanderin war. Frau Merz. Vedder hatte gesagt, Hannelore Merz habe für ihren Chef geschwärmt. Der Mann, dem sie jeden Tag begegnet war und der trotzdem unerreichbar blieb. Da war schon etwas dran. Marlene Oberste hatte inzwischen selbst mit ihr gesprochen. Als Täterin kam sie trotzdem nicht in
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