Krank für zwei
erwog ich, dem Polizisten vor Ort alles zu erzählen. Dann entschloß ich mich zu warten, bis Marlene Oberste wieder auftauchte. Der Täter hatte gezielt zugeschlagen. Ganz offensichtlich hatte er speziell die beiden Peulers aus dem Weg räumen wollen. Klar, er wußte jetzt, daß ich die Locke gefunden hatte. Aber hatte er das nicht letztlich gewollt? Deshalb mußte der Täter mich nicht unbedingt als Gegner ansehen.
Trotzdem war es ein komisches Gefühl, als ich kurze Zeit später über den Flur lief. Der Täter arbeitete im Krankenhaus, da war ich mir ganz sicher. Sonst hätte er den Moment, da niemand in unserem Zimmer war, nicht so gut abpassen können. Es konnte ein Pfleger sein oder eine Schwester, ein Arzt, eine Hebamme, jemand, der in der Küche arbeitete oder beim Hol- und Bringedienst. Es konnte die Krankenhausseelsorgerin sein oder jemand aus der Verwaltung. Irgend jemand halt, der sich unbemerkt in der Klinik bewegen konnte. Das machte mich nervös. Das machte mich einfach nervös.
»Der Herr Jakobs!«
Ich fuhr herum.
»Sie sind doch nicht etwa als Patient hier?«
Die Dreisams. Ich atmete auf. Das Wirteehepaar, bei dem ich die ersten Tage im Sauerland untergekommen war. Schon damals hatten sich die beiden ständig Sorgen gemacht, daß ich als Alleinstehender nicht richtig versorgt wurde – daß meine Hosen keine Bügelfalten haben würden und meine Mahlzeiten nicht ausgewogen wären. Auch jetzt musterte mich Hilde Dreisam wieder, als überlegte sie, ob ich Essen auf Rädern nötig hätte.
»Herr Jakobs, Sie sind noch schmaler geworden.«
Das war glattweg gelogen. Schließlich hatte ich aus solidarischen Gründen fast genauso viel zugenommen wie Alexa. Allerdings hatte Frau Dreisam schon immer Schwierigkeiten mit den Augen gehabt. Vielleicht handelte es sich allein um ein sehtechnisches Problem.
»Mir geht es prächtig«, widersprach ich, während mir heftig die Hand geschüttelt wurde. »Ich habe zwar eine Blinddarmoperation hinter mir. Aber jetzt ist schon wieder fast alles in Ordnung.«
»Der Blinddarm?« Frau Dreisam sah mich an, als hätte ich gerade eine Diagnose bekannt gegeben, die sich vor allem durch absolute Hoffnungslosigkeit auszeichnete.
»Der Blinddarm!« wiederholte Herr Dreisam, als könnten die beiden nur in kleinen Schritten diese grausame Wahrheit verarbeiten.
»Sie wissen ja, daß man daran –« Herr Dreisam fuhr sich mit dem Handrücken an der Kehle entlang. Die Geste sollte mir offensichtlich demonstrieren, daß mindestens jeder zweite am Blinddarm elendig krepierte.
»Nicht der Rede wert«, versuchte ich es erneut. »Eine reine Routinesache. Wie gesagt, ich bin bald wieder vollständig auf dem Damm. Beim Husten habe ich noch Schmerzen und beim Lachen auch, aber das ist kaum erwähnenswert.«
»Na, das Lachen dürfte Ihnen hier wahrscheinlich vergangen sein.« Hilde Dreisams Gesicht veränderte sich in ein verwegenes Blinzeln. »Wir waren gerade bei meiner Schwägerin. Sie hat eine neue Hüfte gekriegt. Hier scheinen ja Mord und Totschlag an der Tagesordnung zu sein.«
»Um Gottes willen!« Ich versuchte ein künstliches Lachen. »So schlimm ist es nun wirklich nicht. Ich werde hier im Krankenhaus bestens versorgt.«
»Trotzdem – ein Mord!« Jetzt schaltete sich Herr Dreisam ein. »Dabei war dieser Dr. Peuler ein ganz reizender Mensch. Wir waren damals so zufrieden, als Hilde die Last mit ihren Krampfadern hatte.«
»Vor allem rechts«, fügte Hilde hinzu. Und schon war sie dabei, ihr rechtes Hosenbein zu lüpfen. »Das ist eine saubere Sache geworden. Und nichts ist wiedergekommen. Da bin ich sehr zufrieden.«
»Und dabei war es ja ein Glück, daß er überhaupt hier im Krankenhaus war.«
»Wieso ein Glück?« Jetzt wurde ich aufmerksam.
»Nun, er hätte es damals auch anders haben können.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wissen Sie, in den Siebzigern war doch der Fritthelm in Paderborn in der Dekanatsverwaltung tätig«, erklärte Frau Dreisam mit einer Selbstverständlichkeit, als seien damit alle Unklarheiten beseitigt.
»Der Fritthelm«, wiederholte ich und fragte mich zur gleichen Zeit, ob der sauerländische Friedhelm direkt von »Fritte« abgeleitet war.
»Der Fritthelm ist unser Neffe – von meinem Bruder Heinz der Älteste«, erläuterte ihr Gatte.
»Na ja, und der Fritthelm, der hat damals schon gesagt: Daß der Herr Dr. Peuler zu euch ins Krankenhaus geht, das ist ein Wunder.«
»Ein Wunder?« Die Geschichte als solche erschien mir immer
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