Krank für zwei
weiter in seinen Sachen gekramt. Gott sei Dank war der Bettnachbar zur Anwendung weg gewesen, und der Mann selber hatte sich zur Cafeteria aufgemacht, jedenfalls in die Richtung. So hatte er Zeit gehabt, noch etwas zu suchen. Und mit Erfolg! Da war nämlich noch etwas gewesen. Ein Zettel mit Namen drauf. In der Mitte hatte Peuler gestanden und drum herum verschiedene andere Namen. Wolkov zum Beispiel und Lübke. Aber warum er wirklich ganz kribbelig geworden war, war wegen eines anderen Namens. SCHNEEWITTCHEN hatte da gestanden, in dicken fetten Lettern. Schneewittchen! Der Mann war ihm auf der Spur. Er hatte die Zeichen verstanden. Er war hinter ihm her. Nur wußte er nicht, auf welcher Seite der Mann stand. Man hätte ja denken können, er sei ein Polizist. Jemand, den man inkognito ins Krankenhaus geschleust hatte, um der Sache vor Ort auf den Grund zugehen. Das kam ja oft vor, im Fernsehen. Mal wurde jemand ins Kloster, mal in ein Altenheim eingeschleust, um so besser an Informationen zu kommen. Aber das war in diesem Fall nicht möglich. Der Mann war schon am Sonntag Abend eingeliefert worden, als Peuler noch gelebt hatte. Außerdem hatte er sich tatsächlich einer Blinddarm-OP unterzogen. Er war kein Polizist. Aber vielleicht jemand, der auf eigene Faust ermittelte – ein Privatdetektiv oder Versicherungsagent, der zufällig gerade im Krankenhaus gelegen hatte und nun die Situation nutzte. Warum sonst hatte er der Polizei die Locke nicht ausgehändigt? Das war doch seltsam. Das war doch hochgradig seltsam. Übrigens war der Mann verheiratet. Er hatte eine Frau, die hochschwanger war. Auch sie schlawenzelte überall in der Klinik herum. Natürlich arbeiteten die beiden zusammen. Das war geschickt. Er war am Ort des Geschehens. Und sie quetschte im weiteren Umfeld die Leute aus. Das war geschickt. Und das war sehr gefährlich für ihn! Mit Gewalt faßte er sich an die Schläfen. Er bekam Kopfschmerzen. Starke Kopfschmerzen. Dann würde er noch schlechter nachdenken können. Dabei mußte er eine Lösung finden. Und zwar schnell. Er mußte schnell eine Lösung finden.
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Irgendwie ergab sich das alles günstig. Ich wollte der Krankenhausseelsorgerin helfen, ganz klar. Aber gleichzeitig, ich muß es gestehen, hoffte ich, daß sich der Zorn der Hauptkommissarin etwas im Zaum halten würde, wenn sie gleich noch einen Brocken vorgesetzt bekäme, nämlich den mit der »alten Geschichte«.
Marlene Oberste kam um fünf, und sie sah wahrlich abgekämpft aus. Ihrer Stimmung nach hatte man Wolkov noch nicht festgesetzt. Ich nahm mich zurück und fragte nicht nach. Soweit das möglich war, wollte ich mich von meiner besten Seite zeigen.
»Vielleicht können wir uns kurz draußen unterhalten?« fragte ich. Ehepaar Peters mußte schließlich nicht dabei sein, wenn ich zermalmt wurde.
Auf dem Gang war ziemlich viel los. Zwei Besucherinnen mit einem Blumenstrauß erkundigten sich nach einer Patientin. Pfleger Stefan peste mit einem Blutdruckmeßgerät vorbei. Ein leeres Bett stand im Flur, außerdem ein Rollwagen mit Bettwäsche. Wir suchten uns ein halbwegs ruhiges Eckchen, bevor meine Begleitung ordentlich zur Sache kam.
»Habe ich meinen Kollegen richtig verstanden, wenn er sagt, daß Sie in Dr. Peulers Zimmer ein Haarbüschel gefunden und es nicht der Polizei übergeben haben?«
Ich sah mich besorgt um. Frau Oberste sprach einfach zu laut für meinen Geschmack.
»Nicht direkt. Aber eigentlich schon. Ich hatte mir gedacht –«
»Wann waren Sie in Peulers Zimmer?«
»Gestern Abend, als ich auch das Gespräch zwischen Lübke und Wolkov mit angehört habe. Unglücklichweise bin ich in Dr. Peulers Zimmer eingeschlossen worden, und auf der Suche nach einem Zweitschlüssel stieß ich dann auf besagtes Haarbüschel.«
»Aha!« Hauptkommissarin Oberste atmete tief durch, um nicht vor meinen Augen zu explodieren. »Und Sie haben es sowohl gestern Abend als auch heute morgen nicht für nötig gehalten, uns über diesen Fund zu informieren.«
»Das Haar war mit einem Klebestreifen an der Rückwand einer Schreibtischschublade befestigt. Ich habe im Leben nicht gedacht, daß es mit dem Mord zu tun haben könnte. Ich dachte, es stammte aus Peulers Vergangenheit, eine Jugendliebe oder so – völlig irrelevant.«
»Ich habe Sie schon mal daraufhin gewiesen, daß Sie Ihre Schlußfolgerungen lieber der Polizei überlassen sollten«, die Kommissarin kam langsam ins Schreien. »Sie behindern unsere Ermittlungsarbeit. Ist Ihnen
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