Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
Gewinnbilanz zu transferieren.
In der Folge werde ich Ihnen eine Fülle von sehr konkreten Beobachtungen aus allen möglichen Bereichen unseres Gesundheitswesens anbieten, gemischt mit einer gehörigen Portion Reflexion. Das Konkrete und das politisch Allgemeine, beides gehört zusammen. Die geschilderten Fälle flogen mir in den meisten Fällen zu. Patienten aus ganz Deutschland schickten mir Berge von Material, in vielen Fällen so umfangreich, dass ich Jahre bräuchte für eine intensivere Betrachtung. Andere Patienten schilderten mir am Telefon ihre Leiden. Ärzte nahmen mich am Rand von Veranstaltungen zur Seite. Krankenschwestern und Pflegekräfte boten mir an »zu reden« – ich müsse ihnen nur ein Zeichen geben. Auch aus dem Ausland kamen Zuspruch und Material. Kenner der amerikanischen Situation meinten: »Sie wissen gar nicht, wie recht Sie haben!« Aber davon soll ja noch gesondert die Rede sein. Springen wir einfach in den Alltag von »Krank in Deutschland«!
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2 . Hilfsmittel verweigert
Fünfzehn Jahre Kampf und kein Ende
G eschickt lenkt sie ihren elektrischen Rollstuhl durch die verwinkelten Straßen der Stadt. Sie kennt die Blicke der Menschen und hat sich längst daran gewöhnt, diese Mischung aus Mitleid und Wegschauen zu ertragen. Manchmal möchte sie mit ihrer rechten, gesunden Hand auf den Knopf drücken, auf die Menschen zufahren und all denen, die nicht wissen, warum sie in diesem Rollstuhl sitzt, erklären, was passiert ist.
Vor mir sitzt eine 31-jährige junge hübsche Frau. Seit ihrer Geburt war sie bereits körperbehindert durch eine Dysmelie (Handfehlbildung) an der linken Hand. So war sie eben aufgewachsen, und es machte ihr auch keine besonderen Probleme – bis zu ihrem Schulsportunfall im Dezember 1995. Sie hatte sich mit ihrer Behinderung gut arrangiert und kompensierte sie durch aktiven Sport. Wer sie nicht kannte, bewunderte die junge Frau nicht nur wegen ihrer Freundlichkeit, sondern auch wegen ihrer Geschicklichkeit und auch wegen ihrer mentalen Stärke, mit der sie ihr Leben trotz ihrer Behinderung meisterte.
Und dann kam er, dieser schwarze Tag im Dezember 1995, an dem sie sich eine schwere Knieverletzung zuzog. Die Schule reagierte richtig. Man brachte sie umgehend zum Arzt. Der diagnostizierte als Erstes eine starke Prellung und verarztete sie mit einem Salbenverband. Die Tage vergingen, der Salbenverband wurde gewechselt, doch nach 10 Tagen trat überhaupt keine Besserung ein. Die Orthopädin verpasste ihr über einen Zeitraum von vier Monaten hinweg eine Gehstütze. Inzwischen hatte sie gewisse Haltungsschäden entwickelt, die durch die einseitige Belastung der gesunden Armhälfte entstanden waren.
»Liebe Patienten, wir sind ab Montag die nächsten zwei Wochen in Urlaub. Meine Vertretung ist Dr. XY «, las sie rein zufällig bei einem Kontrollbesuch in der orthopädischen Praxis. Die Patientin bat ihre Ärztin noch: »Frau Doktor, bitte geben Sie mir einen Überweisungsschein in die Uniklinik, irgendwas muss jetzt passieren. Und solange Sie im Urlaub sind, kann das vielleicht in der Klinik geklärt werden, was mit diesem Knie ist.« Frau Doktor war auch kooperativ, verpasste ihr noch einen Gips, verabschiedete sich in den Urlaub und tröstete sie: Man werde den Fall nach ihrem Urlaub im Krankenhaus schon geklärt bekommen.
Was die Patientin zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Hinter den Kulissen hatte es bereits Auseinandersetzungen zwischen der Haftpflicht und ihrer Krankenkasse gegeben, die sich gegenseitig den Kostenfaktor Schulunfall zuschanzen wollten. Wer sollte die Verordnungen oder Hilfsmittel übernehmen?
Statt direkt ins Klinikum zu gehen, trieben die unerträglichen Schmerzen die junge Frau in das Wartezimmer eines weiteren Orthopäden. Nachdem der Gips entfernt worden war, stellte man nun endlich durch eine Röntgenaufnahme einen vorderen Kreuzbandriss fest. Die Frau atmete auf. »Wenn das Problem einmal erkannt ist«, dachte sie, »wird es schon irgendeine Heilung geben.« Sie ahnte nicht, dass die Diagnose aber nur das Startzeichen zu einem Therapiemarathon werden sollte. Im Laufe der Zeit wurden fünfzehn Knieoperationen notwendig, die alle nicht richtig erfolgreich verliefen. Weshalb und warum, das weiß niemand. Ihr Status heute: Das rechte Kniegelenk ist komplett instabil; sie hat eine Peroneusparese (Lähmung) am rechten Sprunggelenk.
Der Beginn dieser Tragödie liegt nun fünfzehn Jahre zurück. Die Geschichte dieser jungen Frau ist
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