Kraut und Rübchen - Landkrimi
und schob mich an einer Reihe dicht gedrängter Rücken entlang. Niemand nahm mehr von mir Notiz, bis wir vor einem Tisch standen, an dem nur Frauen saßen. »Mädels, das ist Katharina. Marions Nichte.« Sie quetschte sich zwischen eine Silberblonde mit kurzer Dauerwelle und eine Rothaarige mit Sommersprossen und Pferdeschwanz und forderte mich auf, mir ebenfalls einen Platz zu suchen. Unschlüssig blieb ich am Tischende stehen.
»Hier, Katharina.« Eine weitere Silberdame klopfte mit der Hand neben sich und rückte ihr beachtliches Hinterteil einige Zentimeter zur Seite. »Es tut mir sehr leid, das mit Marion.« Sie seufzte. »Sie hatte noch so viel vor. Wollte noch so viel verändern. Noch so vielen helfen.«
»Ja.« Ich nickte. Sie war die Erste, die mir so etwas wie Beileid zu Marions Tod aussprach, und ich war ihr dankbar dafür. Auch wenn ich nicht in der engsten Beziehung zu Marion gestanden hatte, trauerte ich auf meine Weise um sie, und es tat gut zu sehen, wie beliebt sie gewesen war. Ich hätte ihr auch noch viele engagierte Jahre gewünscht.
»Hattest du in der letzten Zeit viel Kontakt zu ihr?«
»Nein.« Sie duzte mich mit der Selbstverständlichkeit der Älteren, aber ich hatte keinen Schimmer, wie sie hieß. »Katharina Rübchen«, sagte ich deshalb und hielt ihr meine rechte Hand hin. »Ich hatte mich noch gar nicht richtig vorgestellt.«
Sie lachte und zeigte eine Reihe großer weißer Zähne. »Das brauchst du doch nicht. Ich kenne dich doch.«
Ich grinste freundlich zurück. Musste ich sie auch kennen? War sie auch eine der Figuren meiner Kindheit, die der Zahn der Zeit für mich unkenntlich gemacht hatte? Ich betrachtete sie. Wenn ich sie direkt nach ihrem Namen fragen würde, wäre sie wahrscheinlich beleidigt, weil ich sie vergessen hatte. Das wollte ich auf keinen Fall riskieren, wo sie mir als eine der wenigen mit solcher Freundlichkeit begegnet war.
»Streng dich nicht an. Du kannst nicht wissen, wie ich heiße.« Sie lachte erneut. »Ellen Wintherscheid. Es ist erst wenige Jahre her, dass ich mich mit Marion angefreundet habe. Sie hat mir damals spontan in einer Notlage geholfen. Seitdem treffen wir uns regelmäßig.« Sie stockte, und Trauer flog über ihr Gesicht wie ein schneller Schatten. »Trafen«, korrigierte sie sich.
»Woher kennst du mich dann?« Ich hatte beschlossen, sie ebenfalls zu duzen. Es schien ihr recht zu sein.
»Aus Marions Schilderungen. Sie hat sehr oft von dir gesprochen.«
»Oh.« Ich betrachtete meine Hände und spürte, wie mein Gewissen sich wieder regte und langsam anschwoll wie ein Ballon. Ich hatte nicht oft an Marion gedacht.
»Das macht nichts, Kind.« Ellen Wintherscheid legte tröstend einen Arm um mich, während ich mich fragte, ob sie Gedanken lesen konnte. »Marion wollte, dass du zuerst deinen Weg gehst. Die Hauptsache ist, dass du nun hier bist und hier weitermachst.«
»Katharina weiß noch nicht, ob sie hier wohnen möchte«, mischte Mila sich von der anderen Seite des Tisches her ein. »Sie braucht noch ein bisschen Bedenkzeit.«
Ellen nickte.
»Das kann ich gut verstehen. Es ist ja auch eine große Aufgabe, die Nachfolge …«
»… auf dem Hof anzutreten«, fiel Mila ihr ins Wort. »Das Haus ist ganz schön runtergekommen und muss sehr gründlich renoviert werden. Das will natürlich gut überlegt sein.«
»Aber …«, machte Ellen, hatte jedoch gegen Milas Redeschwall keine Chance.
»Man kann ja auch wirklich niemanden zwingen, sich an so etwas heranzuwagen. Dazu muss man nicht nur Talent, sondern auch Nerven haben.«
Ich biss mir auf die Lippen. So eine Bruchbude war Marions Haus ja nun auch wieder nicht, und ich hatte gewiss keine zwei linken Hände.
»Ich werde es mir überlegen«, sagte ich deswegen und lächelte Ellen und Mila an. »Noch habe ich weder Nein noch Ja gesagt. Zuerst muss ich mal einen Überblick bekommen, was da alles auf mich wartet.«
»Richtig.« Ellen legte mir ihren Arm um die Schultern, zog mich an sich und drückte mich einmal fest. »Lass dir Zeit. Lass dir alle Zeit, die du brauchst.« Sie klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. Die anderen unterbrachen ihre jeweiligen Gespräche und sahen sie an. »Und wenn du dich entschieden hast, stehen wir dir alle jederzeit mit Rat und Tat zur Seite.« Die Damen am Tisch nickten, und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie genau wussten, worum es ging, obwohl sie eigentlich nichts von unserem Gespräch mitbekommen
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