Kraut und Rübchen - Landkrimi
soll Sie mitnehmen. Er musste noch zu einem Patienten raus und kommt etwas später.«
Ich zuckte mit den Schultern. Auch wenn ich auf Alex eingestellt gewesen war, störte es mich nicht, gemeinsam mit der Nachbarin zum Fest zu gehen, da sie ohnehin die einzige Person war, die ich außer Alex kannte. Ich nahm meine Jacke vom Haken und folgte ihr.
Kleinhaulmbach hatte ungefähr neunhundert Einwohner. Die Hälfte davon, so mein Eindruck, saß dicht gedrängt an langen Biertischreihen in einem Festzelt auf dem Marktplatz. Für eine so große Menschenmenge herrschte eine erstaunliche Ruhe. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass das leise Summen kein Stimmengewirr war, sondern von einer Mikrofonanlage stammte, die vorne auf dem Podium gerade von einem einzelnen Herrn bekämpft wurde. Es quietschte durch die Lautsprecher, und einige Besucher zogen mit schmerzverzerrten Gesichtern die Köpfe zwischen ihre Schultern. Sie sahen aus wie Schildkröten mit Migräneproblematik.
»Bevor wir unser diesjähriges Dorffest eröffnen, hier noch ein paar Fakten zu unserem derzeitigen Problem«, sagte der Mann hinter dem Mikro, der den Kampf zumindest fürs Erste gewonnen zu haben schien, wobei er nicht sagte, was für ein Problem er genau meinte. Anscheinend war das aber auch weder nötig noch gewünscht, denn die meisten Anwesenden nickten wissend.
»Was für ein Problem …«, hob ich an, aber Mila Seidenmacher legte nur stumm den rechten Zeigefinger auf ihren Mund und nickte in Richtung des Redners.
»Wir haben inzwischen bei der Kreisverwaltung diverse Eingaben gemacht und auf die zu erwartenden Negativauswirkungen der ganzen Angelegenheit hingewiesen. Angefangen bei der Zerstörung der kleinen Geschäfte vor Ort über die Umweltschäden, die so ein Großprojekt auf jeden Fall nach sich ziehen würde, bis hin zum Verlust unserer Dorfidentität, unserer Heimat. Die Verwaltung hat zugesagt, die Angelegenheit genau zu prüfen, aber wir wissen ja alle, dass diese Mühlen langsam mahlen. Es ist also vermutlich besser, wenn wir uns direkt an die zuständigen Stellen wenden und vor Ort die Initiative ergreifen.«
Zustimmendes Gemurmel. Der Redner ließ seinen Blick schweifen. Als er Mila sah, huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und er nickte unmerklich. Fast hatte ich den Eindruck, er meinte mich, aber das konnte ja nicht sein.
Nimm dich nicht immer so wichtig, Katharina, dachte ich und trat einen Schritt zurück.
»Wir haben als Dorfgemeinschaft bisher immer unsere eigenen Wege gefunden, um solche Sachen aus der Welt zu schaffen«, fuhr der Redner fort. »Der Einsatz jedes Einzelnen und die speziellen Fähigkeiten unserer Dorfbewohner waren dabei immer sehr nützlich. Ich rechne auch diesmal wieder mit eurer tatkräftigen Unterstützung.«
Diesmal lächelte er offen in Milas Richtung, während er von der improvisierten Bühne abtrat. Die Anwesenden folgten seinem Blick. Mehrere hundert Gesichter wandten sich um und schauten mich an. Diesmal war es sicher keine Einbildung. Sie meinten nicht meine Nachbarin, sondern mich. Die Neue.
Ich spürte, wie die Hitze langsam meinen Hals hochkroch.
Na wunderbar. Ich wusste, dass es nur noch eine Frage von Sekunden war, bis mein Gesicht mit roten Flecken übersät sein würde.
Als ich zwölf war, zogen meine Eltern mitten im Schuljahr um, und ich musste die Schule wechseln. Die Blicke, die mich damals in der Klasse getroffen hatten, waren trotz der erhöhten Peinlichkeitsempfindlichkeit einer Fast-Pubertierenden mit dem hier nicht annähernd zu vergleichen. Freundliche bis unverhohlene Neugierde, Zweifel, Unsicherheit und Misstrauen schlugen mir offen entgegen. Ich hatte es nie glauben wollen, wenn ich Berichten von anderen Zugezogenen gelauscht hatte. Berichten von Menschen, die glaubten, einfach in irgendein Dorf ziehen, dort Freunde finden und glücklich werden zu können, ohne dort geboren worden zu sein oder zumindest lebende Verwandte zu haben. Jetzt wusste ich, was sie meinten. Ich räusperte mich und kämpfte den Frosch meinen Hals hinunter, der mir die Luft zum Atmen nahm.
»Hallo«, sagte ich in die Stille hinein und nickte freundlich in die Runde. In einer der hinteren Reihen hob jemand sein Bierglas und prostete mir zu. Wie auf Kommando erhob sich Gemurmel und Stimmengewirr, Musik setzte ein, und alle schauten wieder ihr Getränk oder ihren nächsten Nachbarn an. Ich war uninteressant geworden.
»Das lief doch ganz gut.« Mila Seidenmacher fasste meinen Ellenbogen
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