Kraut und Rübchen - Landkrimi
gedauert, bis es mir klar geworden war: Ich hatte mir zu lange Zeit gelassen.
Vielleicht trugen die hübsch arrangierten Trockenblumensträuße, farbfröhlichen Patchwork-Bettdecken und weißen Vollholzküchen, die während meiner Arbeit täglich in Bildform auf mich einströmten, zu meiner Enttäuschung über den Anblick bei, den der Hof mir jetzt bot.
Wer regelmäßig über die »Königin des Speckpfannkuchens«, gefühlte vierhundertachtundneunzig Möglichkeiten der Kürbiszubereitung und die besten pflanzlichen Hausmittel gegen Blasenentzündung berichten muss, verliert irgendwann den Bezug zur Realität. Oder wie mein Chefredakteur Björn es gern ausdrückte: »den Kontakt zur Scholle«.
Dabei war Björns intensivster Berührungspunkt zur Natur der Kauf eines in Plastikfolie verhüllten Blumenstraußes im örtlichen Discounter.
Er war so ziemlich gegen alles allergisch und hasste Frischluft, was auch seine selbst bei größter Hitze geschlossenen Bürofenster erklärte. Fahrrad fahren hieß für ihn, auf dem Trimm-Rad zu strampeln, während er eine Folge seiner Lieblingsfernsehserie ansah, die er stets akribisch aufzeichnete. Sonntagsausflüge führten ihn prinzipiell ins Kino oder manchmal ins Theater. Freunde traf er grundsätzlich in der virtuellen Welt oder am Abend auf Partys in den angesagten Clubs der Stadt. Eine romantische Sommernacht verbrachte er auf dem Lounge-Sofa vor der riesigen Panoramascheibe seines Lofts und genoss den atemberaubenden Blick über die Skyline. Mit eingeschalteter Klimaanlage selbstverständlich. Das Wetter störte ihn nie, da er es nur sah, aber nicht spürte.
Björn war ein Stadtmensch durch und durch. Er sah gut aus, bestach durch seinen Charme und jenen besonderen Witz, der Intelligenz durchblitzen ließ, jedoch nie arrogant oder herablassend wirkte.
Aber er war geizig.
Blätterte in Sonderangebotsprospekten, freute sich auf die Schlussverkaufssaison wie ein Kind auf Weihnachten. Oft hatte er mehr Freude daran, etwas günstig erworben zu haben, als an der Sache selbst. An manchen Tagen war er stolz darauf, weniger als drei Euro für sein Essen ausgegeben zu haben, obgleich er am Abend Kopfschmerzen vor Hunger hatte. Wobei sein Ehrgeiz ihn das Essen während der Arbeit sowieso oft vergessen ließ. Er durchdrang ein Thema, wenn es ihn einmal gefesselt hatte. Biss sich fest und ließ nicht locker, bis er alle Facetten ausgeleuchtet hatte und den letzten Dingen auf den Grund gegangen war, die andere lieber im Dunkeln gelassen hätten.
Björn war ein großartiger Journalist. Sein Kontaktnetzwerk spannte sich durch alle Gesellschaftsschichten der Republik. Er kannte alles und jeden. Vor allem aber hatte er sein Ziel vor Augen: In nicht allzu ferner Zukunft wollte er in der Redaktion eines der ganz großen Politmagazine landen, möglichst hoch angesiedelt.
Sein bisheriger Erfolg gab ihm recht. »Natürlich Land«, wie unsere Zeitschrift hieß, erfreute sich in den letzten Jahren stetig wachsender Abonnentenzahlen. Den Begriff »Auflagenmisere« kannten wir nur vom Hörensagen. Unser Credo hieß, die Sehnsucht der Leser nach Natürlichkeit, Natur und echten Erlebnissen zu erfüllen.
Björn hatte mit der Besetzung des Chefredakteurpostens seine Sehnsucht nach einer raschen Karriere erfüllt. In schwachen Minuten gestand er manchmal ein, die Materie zu verabscheuen, und amüsierte sich über die auf herbstlich dekorierten Kaffeetafeln drapierten Kastanien und überMenschen in Karohemden oder Biozopfpullovern zwischen Heuballen. Er kannte jedoch keine Verwandten, wenn es um seinen Vorteil ging, und war sich nicht zu schade, Begeisterung zu heucheln, wo er bestenfalls Langeweile und im schlimmsten Fall Abneigung empfand.
Dennoch entpuppte er sich als talentierter Liebhaber. Ich genoss seine Aufmerksamkeit und Zuwendung, wenn er mir am Abend ein Glas Wein eingoss, wir über Gott und die Welt sprachen und ich unter seinen massierenden Händen dahinschmolz. Meine Arbeit fand mehr Beachtung, seit er die Artikel wirkungsvoller im Magazin positionierte und ich den besseren unserer beiden Fotografen mit zu den Vorort-Terminen nehmen durfte.
Dass wir die Affäre geheim hielten, beruhte auf gegenseitigem Einverständnis. Es hätte ein schlechtes Licht auf uns beide geworfen. Zum Gegenstand von Klatsch und Tratsch zu werden ist niemals förderlich für die Karriere.
Björn und ich liebten uns im Verborgenen, und ich muss gestehen, dass eben das einen großen Anteil an dem Reiz hatte,
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