Kraut und Rübchen - Landkrimi
verschlagen, und es dauerte ein paar Sekunden, bis ich die Stelle wiedergefunden hatte.
»Der große Wackerstein, mit dem wir unseren Heuwagen vor dem Wegrollen sicherten, lag nur wenige Zentimeter neben seinem Kopf«, las ich leise vor, rückte mir den Stuhl wieder zurecht und setzte mich. Die Neugierde war stärker als meine Eitelkeit. Ich wäre schnell zurechtgemacht. Es war ja nicht der Presseball, zu dem Alex mich geladen hatte. »Froböss stöhnte. Er drehte sich langsam zur Seite, sein Atem beruhigte sich. Wäre er auf den Stein aufgeschlagen, seinen Schädel hätte es gespalten.« Ich schluckte. Wollte ich wirklich wissen, wie es weiterging? Wollte ich wirklich Dinge erfahren, die zwar schon lange zurücklagen, die aber auf irgendeine Weise mit diesem Haus zu tun haben mussten? Meinem Haus?
»Natürlich willst du, Katharina«, rief ich mich zur Ordnung. »Was für eine Frage!« Mein Finger fuhr unter den Zeilen entlang, um der zierlichen Handschrift besser folgen zu können.
Der stolze Gutsherr, gestorben bei einem Reitunfall. Tot. Ich atmete tief ein. Es wäre die beste Lösung. Ein Reitunfall.
Ich bückte mich und hob den Stein mit beiden Händen auf. Kurz zögerte ich und schloss die Augen. Sein wütender Gesichtsausdruck tauchte vor mir auf, der Hass in seinen Augen, als er Agnes bedrohte und sie schlug. Bilder unserer Zukunft, die dann nicht mehr unsere eigene sein würde, sondern die, die er für uns vorsah.
Froböss’ Schädel knackte wie ein morscher Ast, als das Gewicht des Steins ihn traf. Er erstarrte in der Bewegung, kippte wieder auf den Rücken. Ich sah in tote Augen.
Der Schuldschein erwartete meine suchende Hand in der inneren Tasche seines Mantels. Ich hatte gesehen, wie er ihn dorthin gesteckt hatte, und fand ihn sofort neben dem Geldbündel.
Agnes stand in der offenen Haustüre. Ich ging auf sie zu, nahm ihre Hand und legte ihr Schuldschein und Geld hinein. Sie sah zu Froböss hinüber. Eine dünne Blutspur lief über ihre Wange. Die Schwellung war an einer Stelle aufgeplatzt.
Ich legte das Buch auf den Tisch, strich langsam mit der flachen Hand die Seiten glatt und hob den Kopf, um aus dem Fenster sehen zu können. In der Küche war es bis auf den tropfenden Wasserhahn still.
Das Buch war über hundert Jahre alt, wenn die Worte und der Zustand des Buches nicht logen. Alles, was darin geschildert wurde, war längst geschehen und konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Niemand lebte mehr, um zur Verantwortung gezogen zu werden. Ein historisches Dokument. Trotzdem berührte mich die Stimme, die aus den Zeilen zu mir sprach, machte die Geschehnisse zu einem Teil von mir. Als wären sie ein Stück meiner eigenen persönlichen Vergangenheit. Das hier war kein Spaß, kein Roman, kein oberflächliches Vergnügen von der Art, mit der ich eine Menge Zeit in den letzten Jahren verbracht hatte. Das hier war echt. Auch wenn ich kein Fachmann für alte Schriftstücke war, war ich mir sehr sicher, dass das keine Fälschung sein konnte. Wer sollte sich auch so eine Mühe machen? Und warum? Die Zeichnungen, die Rezepte, mehrere hundert Seiten dicht an dicht von Hand beschrieben.
Ich sah auf die Uhr, sprang erschrocken auf und presste das Buch an mich. Nur noch knapp eine halbe Stunde, bis Alex mich abholen kam. So wie ich aussah, wollte ich auf keinen Fall unter fremde Leute gehen.
Ich ging hinaus, schlüpfte in ein paar Clogs, die in der Garderobe des kleinen Flurs standen, und stapfte zum Auto. Mein Kosmetikkoffer stand hinter dem Beifahrersitz im Fußraum. Verblüfft stellte ich fest, dass ich das Tagebuch immer noch in der Hand hielt. Das kam davon, wenn man zu viele Dinge gleichzeitig bedachte. Ich steckte es in das Netz an der Hinterseite des Sitzes, raffte meine Kosmetikutensilien zusammen und warf die Autotür zu. Vor dem Spiegel der kleinen Gästetoilette renovierte ich mein Erscheinungsbild und zwang meine Haare in eine vorzeigbare Form. Fünf Minuten. Zum Glück lagen die Klamotten noch nicht zu lange im Koffer, und Stretchjeans verziehen einem so einiges. Dazu eine saubere Bluse mit Karomuster und rote Joggingschuhe.
Ich betrachtete mich im Spiegel und befand mich für landkompatibel und ausgehfein. Es klingelte. Perfektes Timing. Ich schnappte meine Handtasche und den Schlüsselbund, bevor ich zur Tür ging und öffnete.
»Sie können mit mir gehen.« Mila Seidenmacher stand draußen und zog ein mürrisches Gesicht. »Der Tierarzt hat mich angerufen und mir gesagt, ich
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