Kraut und Rübchen - Landkrimi
Geschrei auf Gregor. Schläge prasselten auf ihn hernieder, und lachend hob er die Arme, um sich davor zu schützen, während er sich beeilte, bis zur Kirchentür zu gelangen. Ich hoffte für Angerl, dass der ursprüngliche Sinn des Treibens, den Bräutigam daran zu erinnern, wie schmerzhaft Schläge sein konnten, und ihn so davon abzuhalten, sein Recht, die Frau zu züchtigen, allzu oft und heftig auszuüben, bei Gregor auf fruchtbaren Boden fiel oder erst gar keine Ursache fand.
Wieder ging mein Blick zu Angerls Liebchen. Dessen Augen brannten vor Hass und vor Verzweiflung. Hätte er einen Knüttel gehabt, so hätte er ihn sicher mit Steinen statt mit Sackleinen gefüllt und Gregor erschlagen. Er tat mir leid, aber im Leben ging es nicht um die Wünsche und die Gefühle des Einzelnen. Es ging um das Ganze. Um die Gemeinschaft, das Dorf. Wer diese Ordnung aus welchen Gründen auch immer, ob aus Liebe oder aus Hass, aus dem Gefüge brachte, gefährdete die Gemeinschaft und wurde von ihr ausgestoßen und verachtet. Ich konnte mich nur schwer damit abfinden, musste mich der Ordnung aber ebenfalls beugen.
Auch den Hochzeitszug am nächsten Tag, der Angerl zu ihrem neuen Heim geleiten sollte, sah ich mir an. Der Hochzeitsbitter trug die Fahne voran, bunte Bänder schmückten ein Stück weißes Leinen. Die jungen Burschen hatten ihre Flinten mit Schrot geladen, und eine der Brautjungfern trug Angerls Spinnrad. Angerl trat aus der Tür ihres Elternhauses, herausgeputzt in ihrem Brautkleid und der Brautkrone. Sie ging zu Gregor, der hinter dem Fahnenträger stand, und nahm den ihr von ihm dargebotenen Arm. Unter ihren Augen sah ich tiefe Schatten, um den Mund lag ein bitterer Zug. Nichts in ihrer Miene erinnerte an das Strahlen anderer Bräute, die ich gesehen hatte, nichts an die Schamhaftigkeit, die einige junge Frauen nach ihrer ersten Nacht als rechtmäßige Eheleute befiel.
Hinter den beiden ordneten sich die Jungen und Burschen mit den Flinten an, gefolgt von Angerls Vater und der restlichen Gesellschaft, unter die ich mich ebenfalls mischte. So zogen wir zum Hof, den Gregor einmal erben würde. Er lag nur knapp außerhalb der Grenzen des Dorfes, was die Kinder zum Anlass nahmen, den Weg mit einer Kette abzusperren und Angerl aufzufordern, sich einzukaufen. Der Hochzeitszug stockte. Ich ging am Straßenrand weiter nach vorne, denn ich wollte mir das Schauspiel nicht entgehen lassen, bevor ich so schnell wie möglich umkehren und mich wieder um meine Arbeiten kümmern musste.
Angerl beugte sich zu einem der Mädchen hinunter und gab ihr einen süßen Wecken, den ihr eine der Brautjungfern reichte. Gregor ging neben ihr in die Hocke, zog den Jungen, der vor ihm stand, mit seiner freien Hand zu sich heran und ließ einige Münzen auf dessen Handfläche fallen. Dann beugte er sich vor, gab dem Jungen einen Kuss auf die Wange und strich über seinen Rücken, während er sich wieder aufrichtete. Der Junge versteifte sich unter seinen Händen, und eine heftige Röte überzog seine Wangen. Gregor lächelte ihn an und bewegte die Lippen, ohne dass ich erkennen konnte, was er sagte. Der Junge nickte, senkte den Kopf und trat dann einen Schritt zurück. Gregor lächelte zufrieden. Er löste die Kette, die Kinder wichen zur Seite und gaben den Weg frei. Angerl betrat ihr neues Leben starr und steif, hoch aufgerichtet und mit einer Last beschwert, die ihr niemand abnehmen konnte.
Ob es diese alten Bräuche immer noch gab? Ich klappte das Buch zu und schaute auf die Uhr. Ich musste mich für den Kaffeeklatsch fertig machen, wenn ich wirklich dorthin gehen wollte.
Wurden heutzutage die Männer in diesem Dorf immer noch auf ihrem Weg aus der Kirche von den Anwesenden mit weichen Stoffsäcken verprügelt? Ich grinste, weil die Vorstellung sich verselbstständigte und mein Kopfkino anwarf. Vermutlich nicht, obwohl es heute ebenso viele Idioten gab wie früher, die meinten, ihre Frauen verprügeln zu müssen, weil sie selbst arme Würstchen waren und ihre vermeintliche Überlegenheit auf andere Weise nicht auszuspielen wussten.
Ich überlegte, wie viele Leute wohl für die Idee zu begeistern wären, einige der alten Bräuche und Gesetze wiederzubeleben. Vermutlich mehr, als man im ersten Moment denken würde. »Nicht alles Alte ist schlecht, und nicht alles Neue ist gut«, hatte meine Großmutter oft gesagt, ein Spruch, den sie immer dann anbrachte, wenn wir sie dazu bewegen wollten, doch einmal etwas Neues auszuprobieren, sei es
Weitere Kostenlose Bücher