Kraut und Rübchen - Landkrimi
du nicht auf dem Sprung?« Sie wies auf den Korb, den ich neben dem Wagen abgestellt hatte.
»Ich wollte einkaufen gehen, aber …«
»Ich will dich nicht aufhalten.« Sie beugte sich wieder über ihr Beet und machte energisch einem winzigen Pflänzchen den Garaus.
»Mila, wir sind Nachbarinnen, und ich dachte …«
»Was dachtest du? Und seit wann sind wir Nachbarinnen? Ich wohne hier, das stimmt. Aber du bist doch nur zu Besuch. Ein Gast. Eine Fremde.« Sie drosch auf den Boden ein, der unter ihren Schlägen zerkrümelte.
»Ich werde bleiben.« Ich trat einen weiteren Schritt auf sie zu. »Ich werde euch helfen.« Irgendwann im Laufe des letzten Tages hatte ich die Entscheidung gefällt. Das ganze Für und Wider und den Ärger über Alex zur Seite geschoben und war ins kalte Wasser gesprungen. Den Entschluss laut auszusprechen und damit endgültig zu besiegeln, war ein erhebendes Gefühl. Konsequenz des eigenen Handelns. Erwachsensein mit allem, was dazugehörte.
»Und wie gedenkst du das umzusetzen?« Mila richtete sich auf und stützte sich auf den Stiel ihrer Harke.
»Das weiß ich noch nicht ganz genau. Aber mir wird schon etwas einfallen.«
»Oh, wow! Ich bin beeindruckt«, höhnte sie. »Da kommt die Starjournalistin aus der großen Stadt in unser kleines Hinterwäldlerstädtchen und schwingt sich zur Kämpferin für die gerechte Sache auf. Und was dann? Das ist dir vermutlich egal. Hauptsache, du fühlst dich gut. Kannst vielleicht sogar noch eine gute Story aus der ganzen Sache ziehen. Und dich dann wieder verpissen, wenn es dir doch zu langweilig wird.«
»Das mit der Story ist gar keine schlechte Idee.« Ich versuchte ein Grinsen.
Mila schnaubte.
»Aber darum geht es mir nicht.«
»Sondern?«
Ich ging bis zu ihrem niedrigen Gartentörchen, blieb davor stehen und strich mit den Fingerspitzen über das Holz. »Ich bin zweiunddreißig Jahre alt. Ich habe keine feste Arbeit. Außer meinem Kater habe ich niemanden, den ich als Familie bezeichnen könnte. Mein bisheriges Leben habe ich damit verbracht, nicht erwachsen zu werden. Keine Verbindlichkeiten einzugehen. Partys, Arbeit, Events. Oberflächlichkeiten. Von meinen Bekannten weiß ich, welche Kaffeezubereitungsart sie bevorzugen, ihre Sorgen kenne ich nicht. Und auch nicht ihre heimlichen Wünsche.« Ich legte meine Hände auf den Zaun. »Das ist meine Chance. Auf ein Zuhause. Auf Freunde. Auf …«
»Und du glaubst, hier fündig zu werden?« Sie lachte bitter. »Dass du da mal nicht einem Irrtum aufsitzt. Selbst wenn du hier lebst, heißt das noch lange nicht, dass du auch hierhergehörst. Darüber entscheidest nicht du.«
»Aber meine Freunde kann ich mir doch aussuchen.« Ich lächelte zaghaft. »So wie du dir Marion ausgesucht hast.«
»Marion ist tot«, sagte sie leise. »Meine Freundin ist tot.«
»Sie hat dir eine Menge hinterlassen.«
»Mir?« Mila schob ihre Augenbrauen zu einem einzigen Strich zusammen. »Mir hat sie nichts hinterlassen. Du bist diejenige welche. Schon vergessen?«
»Ich meinte nicht Dinge, nichts Materielles. Ich meinte das Wissen, die Kenntnisse und das Gespür, das du im Zusammensein mit ihr für die Pflanzen entwickelt hast. So etwas kann man nicht vererben. So etwas kann man nur weitergeben an die, die es einem wert erscheinen.«
»Warum schiebt sie dir dann alles in den Hintern? So wichtig scheine ich ihr wohl doch nicht gewesen zu sein.«
»Vielleicht hatte sie keine Zeit?«, schlug ich vor. Aus Milas Körper wich die Anspannung.
»Wie meinst du das, ›keine Zeit‹?« Ich sah, wie sie meinen Gedanken folgte und sich ein wehmütiges Lächeln in ihren Mundwinkel schlich. Sie verstand.
»Ja.« Ich nickte. »Genau so.« Ich wandte mich um und wies auf Marions Haus. »Schau doch, wie es aussieht. Sie hat viele kaputte Stellen am Haus bereits repariert. Baumaterial für mindestens drei weitere Projekte lagert hinten in der geschützten Ecke des Hofes. Denkt jemand, der noch so viel vorhat, an seinen Tod?«
»Nein.« Mila legte die Harke auf den Boden und kam zu mir an den Gartenzaun. »Nein. Wohl kaum.« Sie seufzte. »Meinst du, sie hat mich einfach nicht bedacht, weil sie keine Zeit hatte, ihr Testament zu ändern?«
»Ich erinnere mich an ein Telefonat vor ungefähr fünf Jahren. Zwischen Tür und Angel teilte Marion mir mit, sie sei bei einem Notar gewesen und hätte alles geregelt. Das Testament läge in ihrer Schreibtischschublade, und ich würde es im Fall der Fälle sehr leicht finden
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