Kraut und Rübchen - Landkrimi
nicht mehr ertragen. Hohlwangig, mit vor Pein schwarzen Augen und Haut wie Pergament hatte sie dagelegen. An unserem letzten gemeinsamen Abend trat ich an ihr Lager und richtete sie auf. Behutsam und vorsichtig, um sie nicht zu zerbrechen. Jede Berührung marterte sie. Ihr Leib war Feuer und Eis, eine einzige Wunde. Jeder Atemzug eine Qual.
»Einen letzten Dienst kann ich dir noch erweisen, Freundin. Es wird nicht wehtun. Du kannst einfach einschlafen.« Ich hielt ihr den Becher vor die Lippen, sah sie fragend an.
Sie nickte. Trank. Ließ sich zurücksinken.
Ich legte mich an ihre Seite und lauschte ihrem Atem. Zart hob ich ihre Hand, legte sie in meine, strich über die dunklen Flecken, die schimmernden blauen Adern. Agnes seufzte und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. Sie fühlte sich leicht an, ohne jede Substanz. Unsere Finger verschränkten und verwoben sich ineinander, wie sie es schon oft getan hatten. Ohne ein Verlangen, ohne Absicht und ohne Ziel. Abschied. Ihr Atem wurde ruhiger. Ich hatte ihn süß gemischt, ihren letzten Trank. Mit dem Honig, den sie liebte, mit Minze und mit Beerensaft. Sie sollte das Bittere nicht schmecken, den Tod nicht auf der Zunge spüren. Ihr Atem wurde langsamer, die Finger kraftlos. Ein Lächeln erhellte ihre Züge. Das Grau verschwand für einen Augenblick. Dann blieb sie still.
An diesem Abend in der Kammer, die so lange unsere gewesen war, hatte ich Agnes im Arm gehalten und um sie geweint. Um unser Leben. Was es gewesen war und was wir uns geschenkt hatten.
Am nächsten Morgen war ich aufgestanden und hatte meine Pflicht getan. Hatte die Tote gewaschen und Johannes und Katharina Bescheid gesagt, damit sie von ihr Abschied nehmen konnten. Hatte den Pfarrer gerufen und während der Aussegnung mit ihm gebetet. Hatte den Schreiner hereingelassen, der das Maß für den Sarg nahm, und den Leichenschmaus ausgerichtet, zu dem Johannes die Nachbarschaft einlud, nachdem wir Agnes im Trauerzug auf den Kirchhof getragen und für das Heil ihrer Seele eine Messe gelesen hatten. Es half mir gegen die Trauer, die ich nicht zeigen wollte und nicht zeigen durfte. Es war nichts Besonderes, wenn jemand starb. So wie es in den Augen der Menschen nichts Besonders war, wenn ein Kind geboren wurde. Es gehörte zum Leben. Der Anfang und das Ende.
Johannes und Katharina kamen mit den Arbeitern und den Kindern von der Feldarbeit zurück und schreckten mich aus meinen Gedanken. Trotz des harten Tagwerks lachten die Kleinen und freuten sich auf das gemeinsame Nachtmahl.
»Schau, was ich gefunden habe.« Martin, der jüngere der beiden Jungen, zeigte mir zwei braunrote Fellbündel. Junge Füchse. »Die Fähe lag tot neben dem Acker. Vater wollte nicht, dass ich sie mitnehme, aber ich will sie großziehen.«
»Füchse sind keine Hunde, Junge. Du wirst sie dir nicht folgsam machen können.«
»Das hat Vater auch gesagt. Er wollte sie mir wegnehmen, aber ich habe mich kräftig gewehrt.« Er hob seinen Ärmel hoch und zeigte mir einen Riss in seinem Ärmel. Ich lächelte. Agnes und ich hatten unsere Kinder nie geschlagen, auch wenn uns Johannes’ Lehrer mehr als einmal dazu aufgefordert hatte und es überall Usus war. Das war vielleicht auch der Grund, warum Johannes kein strenger Vater war und seinen Kindern Freiheiten zugestand, die es sonst auf keinem Hof gab.
»Ich werde dir dein Hemd flicken, Martin. Hol mir Nadel und Faden«, versprach ich ihm und stutzte. Er hatte sich gewehrt. Gegen seinen Vater, der ihn sicher nicht ernsthaft hatte verletzen wollen. Dabei war sein Hemd zerrissen. Um wie viel schlimmer wären die Schäden, wenn der Angriff hart und eine Waffe im Spiel gewesen wäre und es um etwas Ernsteres gegangen wäre? Wenn der Angreifer ein Messer gehabt hätte und es bei dem Kampf um die eigene Unversehrtheit gegangen wäre, statt um ein paar verlauste Fuchswelpen?
Pfaffenhütchen , Euonymus europaeus – ein laubabwerfender Strauch mit weißen Blüten und roten Samenfrüchten. Bevor man um die Giftigkeit wusste, stellte man aus dem Holz Spindeln, Violinbögen und Zahnstocher her. Vor allem die Früchte sind giftig. Ihr Verzehr führt zu Krämpfen, Schockzustand, Herzrhythmusstörungen und Tachykardie. Die Wirkung tritt erst mit zehn bis achtzehn Stunden Verzögerung ein und führt zum Tod im Komazustand.
Fünfzehn
Eine halbe Stunde später befand ich mich auf dem neuesten Stand in Sachen Froböss’schem Vorhaben. Außerdem war mir warm geworden. Nicht weil mich die Sache so
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