Kraut und Rübchen - Landkrimi
alles aufgeschrieben hatte. Das Schreiben half mir, meine Gedanken zu ordnen, mich zu erinnern an das, was gewesen war und was ich getan hatte. Katharina brachte mir Essen und Wasser. Sie sorgte sich um mich, legte ihre kühle Hand auf meine Stirn. Ich fühlte ihre von harter Arbeit raue Haut, aber auch die vertraute Zärtlichkeit ihrer Berührung. Sie war eine gute Tochter. Eine, auf die ich stolz sein konnte. Ich legte den Stift an die Stelle des Büchleins, an der ich aufgehört hatte zu schreiben, wickelte das dünne Lederbändchen zweimal drum und steckte es zwischen den Rand des Bettgestells und die Matratze. Hier würde es so schnell niemand finden. Ich wollte nicht, dass es gelesen wurde, bevor ich fertig war. Den letzten Eintrag, die Sätze, die in diesem Moment auf dem Papier Gestalt annehmen, wollte ich einfügen, nachdem alles geschehen war. Es in der Erinnerung durchleben. Den richtigen Weg finden. Bis an das Ende. Noch war es nicht so weit. Noch wartete eine Pflicht auf mich, deren Schuldner meine Kinder ebenfalls waren, ohne es zu wissen.
Die Froböss’sche war eine Gefahr. Nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie. Katharina, Johannes, die Kinder. Ich musste sie schützen. Wenn die Froböss’sche die Wahrheit sagte und einen weiteren Schuldschein gefunden hatte, müssten sie nicht nur alles an Geld mit Zins und Zinseszins aufbringen, sondern auch noch die Schande ertragen, die ihre Mutter über den Hof gebracht hatte. Schon damals war es eine ungeheuer große Summe gewesen, die auch heute noch Haus und Hof kosten würde.
Dieser Bedrohung durfte ich sie nicht aussetzen.
Katharina bemühte sich darum, mir den Besuch der Sonntagsmesse am nächsten Tag auszureden, aber ich bestand darauf, mitzukommen. Mein Herz hatte sich erholt, und ich hatte neue Kraft gesammelt. Die Froböss’sche war bisher nicht wieder bei mir erschienen.
Die Gemeinde versammelte sich vor der Kirchentür und wartete darauf, dass einer der Messdiener sie alle hereinbat. Frauen, Männer und Kinder bunt gemischt. Alle trugen ihre besten Kleider, hatten sich für den sonntäglichen Messgang herausgeputzt. Die Jüngsten hielten sich ängstlich an der Hand ihrer Mütter fest, die die Gelegenheit nutzten und leise mit denen sprachen, die sie sonst die ganze Woche über nicht zu Gesicht bekamen. Johannes und Katharina begrüßten die Nachbarn und die anderen Dörfler, fragten nach Gesundheit und Wohlergehen.
»Hast du darüber nachgedacht, Hilda?« Ich fuhr zusammen. Neben mir stand die Froböss’sche. Die Umstehenden betrachteten sie argwöhnisch. Es war nicht üblich, die Messe in einem anderen Dorf zu besuchen. Die Froböss’sche war fremd hier.
»Ja, das habe ich.« Ich sprach leise, damit niemand der Umstehenden etwas hören konnte. Sie beugte sich zu mir hinunter, um mich besser zu verstehen. Ich spürte ihre Nähe. Ihre Haut strahlte Wärme aus und einen Duft nach frischem Brot und Rosen. Agnes. Der Geruch erinnerte mich an sie, und im gleichen Augenblick wusste ich, dass ich das, was ich geplant hatte, niemals würde ausführen können. Sie sollte sterben an dem Saft der Rhizinussamen, in dem ich den Stoff des Beutels getränkt hatte. Das Kraut darin war durch ein weiteres Tuch geschützt, das ich mit Wachs bestrichen hatte, und harmlos. Dem Schwager würde nichts geschehen. Dafür hatte ich Sorge getragen. Ich zögerte. Ein Tod ist nicht immer ein Tod. Vor allem, wenn er von fremder Hand kommt. Wenn ich ihr den Beutel, der zu Hause in meiner Kammer lag und der sie anstatt ihres Opfers töten würde, gäbe, machte ich mich gemein mit denen, die ich mein Leben lang versucht hatte zu bekämpfen. Mit den Gewöhnlichen und den Niederträchtigen. Mit denen, für die ein Leben keinen Schutz verdiente und mit dem man umspringen konnte, wie es einem behagte und zum Vorteil gereichte. Und auch wenn sie mich und meine Familie mit dem Ruin bedrohte, musste ich dafür Sorge tragen, dass meine Seele heil blieb.
»Ich habe darüber nachgedacht«, wiederholte ich mit fester Stimme. »Ich werde dir nicht helfen. Geh nach Hause oder komm mit in die Messe und bete.«
»Was?« Sie stieß böse die Luft aus, trat einen Schritt zurück und richtete sich auf. Es ging ihr nicht mehr darum, ob sie ihren Plan durchsetzen konnte, das sah ich sofort. Jetzt trachtete sie nach Rache dafür, dass ich ihr nicht zu Willen war. Dass ich ihr widerstand.
Seltsamerweise machte mir das keine Angst, sondern bestärkte mich in meinem Entschluss.
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