Kraut und Rübchen - Landkrimi
Sie war ein schlechter Mensch. Getrieben von Eitelkeiten, Gier und Rachegelüsten.
»Du hast es nicht anders gewollt, Hilda«, spie sie mir ins Gesicht und machte auf dem Absatz kehrt. Sie drängte sich durch die Leute, bis sie vor der Kirchentür stand, und stieg bis auf die oberste Stufe. »Hört einmal her.« Ihre Stimme tönte über die Köpfe hinweg bis zu mir. Alle unterbrachen ihre Gespräche, verstummten und wandten sich ihr zu. Die Froböss’sche wartete, bis alle Augen auf sie gerichtet waren. »Unter euch ist eine Mörderin.« Sie holte tief Luft. »Eine, die nicht davor zurückschreckt, anderen zu ihrem eigenen Vorteil nach dem Leben zu trachten.«
Ein Raunen ging durch die Menge. Mein Herz begann zu hämmern, und ich schwankte. Katharina bemerkte es und griff nach meinem Arm. Sie stützte mich, nicht wissend, dass sie selbst gleich Stütze benötigen würde.
»Ich selbst habe es gesehen.« Wieder machte sie eine Pause, in der nur das leise Quietschen der Kirchentür zu hören war, als der Messdiener sie öffnete. Niemand rührte sich. Stille.
»Was redest du da von einer Mörderin?« Der Pfarrer war hinter ihr aus der Kirche getreten. Er schaute sie mit strengem Blick an. »Es ist ein schweres Vergehen, ein falsches Zeugnis gegen jemanden abzulegen.«
»Es ist nichts Falsches an dem, was ich sage.« Die Froböss’sche blieb ruhig. Nur ihre Hände, die sie immer wieder zu Fäusten ballte, verrieten ihre Unruhe und ihre Anspannung. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden. »Hilda.« Sie zeigte über die Köpfe der anderen hinweg mit dem Finger auf mich. »Sie hat vor mehr als zwanzig Jahren Arnold Froböss mit einem Stein erschlagen, weil er die Schulden des Hofes eintreiben wollte, und behauptet, es sei ein Unfall gewesen.«
»Was ist das für eine Unterstellung, Weib?« Die Stimme des Pfarrers dröhnte.
»Keine Unterstellung. Die Wahrheit.«
»Woher nimmst du die Sicherheit?«
»Weil ich es gesehen und gehört habe«, keifte sie ihn an.
Der Pfarrer musterte sie eindringlich. »Warum hast du nichts gesagt, als es passierte?«
»Weil ich ein Kind war. Hätte man einem Kind geglaubt?« Sie zeigte wieder auf mich. »Da steht sie. Nehmt sie in Gewahrsam.«
»Stimmt das, Mutter?«, flüsterte Katharina. Ich merkte, wie ihre Hände zitterten. Ich schwieg. Um uns herum bildete sich ein Kreis. Entsetzen stand in den Gesichtern der Menschen. Abscheu schlug mir entgegen, wo vor wenigen Augenblicken noch Freundlichkeit zu finden gewesen war. Der Pfarrer bahnte sich einen Weg zu mir.
»Was hast du zu den Vorwürfen zu sagen, Hilda? Hat diese Frau recht mit ihrer Behauptung?« Ein zweites ernstes Gesicht tauchte neben dem des Pfarrers auf. Der Polizist des Dorfes. Ohne seine Uniform und ohne seine Waffen, ein braver Kirchgänger, wie es seine Mutter in ihrer Witwenschaft gewesen war und seine Schwestern noch heute waren. Der Sohn des Schmieds. In seinem Gesicht erkannte ich die Züge des Jungen, der damals weinend am Bett der Mutter gestanden hatte und später voll Vertrauen meine Pilzsuppe gegessen hatte. Ich sah, wie er mit sich kämpfte. Ohne meine Antwort abzuwarten, wandte er sich an die Froböss’sche. »Der Vorfall ist sehr lange her. Beweise lassen sich heute nicht mehr finden.« Er sprach sehr laut und deutlich. »Oder gibt es irgendetwas, das du uns vorlegen kannst, als Unterstützung für deine Behauptung? Ein Dokument, einen Beleg?«
»Nein. Ich habe nichts, aber das ist nicht wichtig, ich habe es doch …«, widersprach sie, aber der Polizist unterbrach sie.
»In einem solchen Fall muss man sich auf Zeugenaussagen stützen, die den Vorwurf bestätigen.« Er blickte in die Menge der Kirchgänger, ohne Einzelne anzuschauen.
Eine Welle der Erleichterung erfasste mich. Eine weitere Lüge. Sie hatte keinen Schuldschein. Sonst hätte sie ihn jetzt vorgelegt und damit das Schicksal endgültig besiegelt.
Der Polizist wandte sich wieder an die Froböss’sche. »Oder es als Verleumdung aufdecken. Du bist nicht aus unserem Dorf. Ich kenne dich nicht. Warum soll ich dir glauben?«
»Weil ich es bezeuge, hier in der Kirche.« Sie reckte ihr Kinn in die Höhe und sah mich an. Ich erkannte ihre blinde Wut, die nichts anderes mehr kannte als den Wunsch, mir zu schaden.
»Es kann nicht stimmen, was du sagst«, sagte eine Frau mit leiser, aber deutlicher Stimme in das Schweigen der Leute hinein. Alle Köpfe fuhren herum. Es war die Schwester des Polizisten. »Ich erinnere mich an den
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