KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Sie sich allerdings fragen, wie hoch das tatsächliche absolute Risiko ist, an besagter Krankheit zu sterben. Wenn nur zehn von tausend Menschen an einer Krankheit X sterben, bedeutet die Reduktion der relativen Risikos um 30 Prozent, das statt zehn nur noch sieben von 1000 Menschen dieser Krankheit zum Opfer fallen. Das absolute Risiko, an dieser Erkrankung zu sterben, verringert sich also nur von 1 Prozent auf 0,7 Prozent. Um es in absoluten Zahlen auszudrücken: Nur drei von 1000 Teilnehmern profitieren! Lassen Sie sich also nicht mit relativen Risiken abspeisen. Unser Gehirn lässt sich gern aufs Glatteis führen, wenn die Wirklichkeit in Form von Prozentzahlen abgebildet wird.
Jede Krebsvorsorge beschert zahlreichen Menschen Unannehmlichkeiten und kleinere Nachteile ohne den geringsten Nutzen. Einer kleinen Gruppe von Teilnehmern rettet das Programm das Leben, niemand weiß jedoch im Voraus, ob er zu den Nutznießern gehört. In dieser Hinsicht gleicht ein Vorsorgeprogramm dem Abschluss einer Risikoversicherung. Die meisten Menschen, die eine Risikolebensversicherung, eine Unfallversicherung oder eine Haftpflichtversicherung abschließen, werden sie nicht in Anspruch nehmen und sind froh darüber. Ihre Beiträge haben sie leichten Herzens in den Schornstein geschrieben. Die Nichtinanspruchnahme der Versicherungssumme bedeutet schließlich, dass sie zu den Glücklichen gehören, die von einer Katastrophe verschont wurden.
Dasselbe gilt für die Krebsvorsorge. Im Gegensatz zur Versicherung kann man aber ihre »Kosten« nicht objektiv quantifizieren und die möglichen Nachteile nicht in einer einzigen Zahl ausdrücken. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt! Informieren Sie sich. Objektive Information allein genügt nicht. Menschen und ihre Bewältigungsstrategien sind ausgesprochen unterschiedlich. Prüfen Sie sich selbst! Versuchen Sie zu ergründen, wann Ahnungslosigkeit ein Segen sein und Wissen zum Fluch werden könnte – für Sie.
8. Kapitel
»Früh, hart, schnell: Stahl oder Strahl?« – Wann kann man Krebs heilen?
Montag, 15. September 2008
D ie große Stahltür schwenkt zur Seite, durch den Spalt zwängt sich der Direktor der Tübinger Frauenklinik. Seine grüne OP-Kluft ist durchgeschwitzt. In seinen Händen balanciert er eine kleine, mit einem Tuch bedeckte Metallschale. Alle meine Gedanken kreisen in diesem Moment um diese Schale.
Sein Angebot, bei der Operation meiner Frau dabei zu sein, hatte ich abgelehnt. Schon das Warten vor der Tür war ein Martyrium, das Gefühl, Nervosität sei ein Tier, das sich durch Magenwände frisst. Über eine Stunde lief ich wie ein eingesperrtes Raubtier vor dem Operationssaal auf und ab. »Kommen Sie mit«, sagt er. »Wir bringen die Proben sofort in die Pathologie.« Dankbar für die Unterbrechung folge ich, und wir eilen hinunter ins Schnellschnittlabor, während im OP eine Oberärztin die Operation zu Ende führt.
Ein blutiges Stück Gewebe, knapp 5 Zentimeter im Durchmesser, eingebettet in gelbliches Fett, so sieht ein Dämon aus. Argwöhnisch betrachte ich den Inhalt des Gefäßes. Neben dem Tumor selbst liegen zwei kleinere Gewebestückchen, die Wächterlymphknoten. Vor allem diesen beiden unscheinbaren Stückchen Gewebe gilt mein Hoffen und Bangen.
Bereits seit der Biopsie des Tumors, damals, als vor mehr als einem halben Jahr die Diagnose gestellt wurde, kenne ich den besonderen Gewebetyp dieses Krebses – eine äußerst aggressive Variante mit vergleichsweise ungünstiger Prognose handelt, ein sogenanntes »Dreifach negatives Mammakarzinom«. Dieser Begriff der »dreifachen« Negativität entstammt dem ebenso spröden wie wertfreien Wörterbuch der Pathologie und besagt, dass auf der Zelloberfläche dieser Tumoren keine Rezeptoren für Östrogene, Progesteron oder für die Wachstumsfaktoren der sogenannten EGF-Familie 1 zu finden sind. Imogen interpretierte die »dreifache« Negativität immer anders – als »dreifachen Griff ins Klo« – und hatte damit leider recht: Der »triple-negative« Brustkrebsunterscheidet sich nicht nur durch das Fehlen bestimmter Rezeptoren von anderen Brustkrebserkrankungen. Er verhält sich biologisch anders und hat eine deutlich schlechtere Prognose als die üblichen Formen des Brustkrebses. Aufgrund des Fehlens von Hormonrezeptoren sprechen diese Tumoren nicht auf antihormonelle Therapien an. 2 Gleichzeitig wachsen sie schneller und aggressiver und neigen dazu, die Schwelle zur metastasierten Erkrankung zügig zu
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