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KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
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überschreiten.
    Deshalb drehen sich meine Gedanken fast obsessiv um diese Wächterlymphknoten. Meistens hält sich der Krebs an bestimmte Metastasierungswege. Wenn also die erste mögliche Station auf dem Weg zur Systemerkrankung, die unmittelbar benachbarten Lymphknoten, nicht von Krebszellen befallen waren, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass ihr Krebs noch an Ort und Stelle lokalisiert ist und sich noch nicht ausgebreitet hat.
    Ich sitze an Imogens Bett, als sie aus der Narkose erwacht. Sie blickt mich fragend an. Ich küsse sie und flüstere ihr ins Ohr, die Operation sei gut verlaufen, so gut, wie wir nur hatten hoffen können.
    »Martin, was bedeutet dieses Ergebnis jetzt? Könnte mich die Operation geheilt haben?« Ich nehme Imogen in den Arm und flüstere: »Ja, unter Umständen. Wenn wir Glück haben, hat dich die Operation allein bereits geheilt, und alles Brimborium drumherum war überflüssig und wird überflüssig bleiben …«
    Um diese »Umstände« dreht sich dieses Kapitel. Es geht darum, ob oder besser unter welchen Umständen Krebs als ein lokales Problem auftritt. Die Verlässlichkeit einer solchen Einschätzung hat erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen. Denn für lokale Probleme kann es auch lokale Lösungen geben.

»In God we trust, all other must have data« – das fragwürdige Dogma der Radikalität
    Getrieben vom Hochgefühl neu erlebter Machbarkeit zogen manche Chirurgen den Schluss, Feuer müsse vor allem mit Feuer bekämpft werden. Um die Zahl der Rückfälle weiter zu verringern, müsse das Skalpell noch radikaler und konsequenter als bisher eingesetzt werden. Perfekt verkörperte diese Denkart der amerikanische Chirurg William Stewart Halsted (1852–1922). Die Erkrankung, um seine Vision einer radikalen Krebschirurgie in die Tat umzusetzen, war der Brustkrebs.
    Halsted war die Inkarnation eines Klischees:
der Prototyp des brillanten, egomanen, arbeitswütigen, vom Ehrgeiz getriebenen und durch keinerlei Selbstzweifel gebremsten Chirurgen, einer Spezies von Medizinern, die seltener zu werden scheint, auch wenn sie bis in unsere Tage nicht ausgestorben ist. Halsted gehörte noch zu jener Generation amerikanischer Chirurgen, die über den Atlantik pilgern mussten, um ihr Handwerk zu perfektionieren. Damals saßen alle großen Lehrmeister der Chirurgie noch in Europa. Nach einer mehrjährigen Tour de Force zu den Koryphäen in London, Paris, Wien und Leipzig kehrte Halsted in die Vereinigten Staaten zurück. Er hatte offensichtlich nichts Geringeres vor, als die amerikanische Chirurgie zu revolutionieren. 1882, er war gerade in die Staaten zurückgekehrt, entfernte er auf einem Küchentisch die infizierte Gallenblase seiner Mutter. Er war einer der Ersten, die einen solchen Eingriff in den USA erfolgreich durchführten. Auch seine Schwester kam in den Genuss seines zupackenden Naturells. Als sie bei der Geburt ihres Kindes viel Blut verlor, fackelte Halsted nicht lange und transfundierte ihr mehrere hundert Milliliter seines eigenen Blutes. Auch wenn er ihr durch die Transfusion vielleicht das Leben gerettet hatte, führte ihm bei dieser Aktion ein Schutzengel und nicht sein ärztliches Können die Hand. Halsted hatte keine Ahnung von der Existenz verschiedener Blutgruppensysteme. Es war pures Glück, dass sein Blut mit dem der Schwester kompatibel war. Hätten die Oberflächeneigenschaften ihrer Blutkörperchen nicht zueinander gepasst, hätte Halsteds Tatendrang seine Schwester ins Jenseits befördert.
    Halsteds Interesse an der Brustkrebschirurgie war während seiner Lehrzeit bei Richard von Volkmann (1830–1889) in Leipzig geweckt worden. Volkmann konnte viele Frauen zunächst einmal vom Krebs befreien, indem er diekompletten Brustdrüsen amputierte. Trotzdem stieß diese Behandlung an ihre Grenzen. Nach einiger Zeit erlitten viele Patientinnen Rückfälle im Bereich des Brustmuskels, entlang der Lymphknotenketten in der Achselhöhle, hinter dem Schlüsselbein oder hinter dem Brustbein.
    Teilerfolge waren nicht die Sache für einen Mann wie Halsted. Er entwickelte eine Art »Zentrifugaltheorie« der Krebsausbreitung. 18 Mit zunehmendem Wachstum des Ursprungstumors und mit zunehmender Krankheitsdauer verhalte sich der Krebs wie ein sich immer schneller drehender Kreisel, der seine Tochterzellen in immer weiter ausgreifenden Radien um den Ursprungsherd in den Körper ausstreue. Die Aufgaben der Chirurgen sei es, diesen Radien mit dem Skalpell nachzuspüren, um den

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