KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Netto-Bilanz der endoskopischen Darmkrebs-Vorsorge nicht allzu sehr,wenn ein erfahrener Arzt das Endoskop führt. Trotzdem ist und bleibt der Entschluss zur Teilnahme an der endoskopischen Darmkrebs-Vorsorge eine höchst private Entscheidung.
Fazit – Könnte Ahnungslosigkeit ein Segen sein? Und Wissen zum Fluch werden?
Die Idee der Krebsvorsorge und -früherkennung ist bestechend. Auf dem Weg von der Theorie in die Praxis verändert sich die Idee jedoch erheblich. Zunächst einmal gibt es für die Mehrzahl aller Krebserkrankungen bisher keine wirksame Vorsorgestrategie. Die fünf Krebserkrankungen, für die entsprechende Programme entwickelt wurden (Brustkrebs- und Darmkrebs, Melanom, Gebärmutterhals- und Prostatakrebs), repräsentieren deutlich weniger als die Hälfte aller Krebsfälle und sind für etwas mehr als ein Viertel aller Krebstoten verantwortlich. Schon diese Zahlen verdeutlichen, dass Vorsorge nur ein Baustein zur Lösung des Krebsproblems sein kann.
Trotzdem halte ich zumindest die Programme zur Vorsorge von Brust-, Darm-, Haut- und Gebärmutterhalskrebs für sinnvoll, sofern die entsprechenden Rahmenbedingungen beachtet werden. Dazu gehört nicht nur eine rigorose Qualitätskontrolle der Testverfahren. Entscheidend ist auch, dass jeder Teilnehmer weiß, worauf er sich einlässt. Ein Vorsorgeprogramm konfrontiert Millionen gesunder Menschen mit dem medizinischen Apparat. EineBilanz ist oft schwierig, weil Äpfel mit Birnen verglichen werden müssen. Das mag der Grund sein, warum Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern rasch auf ideologisch vermintes Terrain geraten, auch wenn beide Seiten versuchen, ihre Argumente auf Zahlen zu stützen. Statistik lässt sich missbrauchen.
Ich möchte eine paar Beispiele nennen, wie mit wahren Zahlen Manipulation betrieben werden kann. Nehmen wir den Begriff der durchschnittlichen Verlängerung der Lebenszeit. Gegner der Vorsorge rechnen nach, dass – statistisch betrachtet – die Teilnahme an einem Vorsorgeprogramm die Lebenszeit um wenige Tage verlängert. Dieser Taschenspielertrick wird dann gern rhetorisch durch die provokative Frage unterfüttert, ob ein oder zwei Wochen Lebensverlängerung den Aufwand jahrelanger Arztbesuche rechtfertigen. 59
Auch wenn die Zahlen stimmen, ist das Argument natürlich Blödsinn. Die durchschnittliche Verlängerung der Lebenszeit ist ein mathematisches Artefakt. In der Realität gibt es sie nicht. Wir kennen keinen realen Menschen, dem ein Vorsorgeprogramm eine um eineinhalb Wochen verlängerte Lebenszeit beschert hat. Wir kennen durchaus Personen, die profitiert haben, weil durch die Vorsorge eine Krebserkrankung so rechtzeitig entdeckt wurde, dass sie geheilt werden konnten. Diese Menschen verdanken der Vorsorge Jahre oder Jahrzehnte ihres Lebens.
Und dann kennen wir die Vielen, die keinerlei Nutzen hatten, weil sie nicht krank wurden oder weil sie krank wurden, aber in jedem Fall gerettet worden wären, oder weil sie krank wurden, aber trotz Vorsorge an der Erkrankung starben. Die durchschnittliche Verlängerung der Lebenszeit ist eine mathematische Konstruktion, die ausschließlich dazu taugt, die Effizienz verschiedener Programme untereinander zu vergleichen, nicht mehr und nicht weniger.
Eine oft missbräuchlich verwendete Größe ist die Veränderung der allgemeinen Sterblichkeit. Krebs ist in den Industrienationen zwar die zweithäufigste Todesursache. Trotzdem sind alle Krebserkrankungen zusammengenommen nur für knapp ein Viertel aller Todesfälle verantwortlich. Selbst eine häufige Krebserkrankung wie der Darmkrebs ist nur für knapp 15 Prozent aller Krebstodesfälle und damit für kaum 3 Prozent der Todesfälle insgesamt verantwortlich. Ein Vorsorgeprogramm, das zur Halbierung der Darmkrebstoten führt, wäre ein voller Erfolg. Immerhin würde dieses Programm allein in Deutschland jedes Jahr mehr als 15
000 Menschen das Leben retten. Trotzdem wäre sein Einfluss auf die allgemeine Sterblichkeit der Gesamtbevölkerungund auf die durchschnittliche Lebenserwartung statistisch kaum messbar.
Gegner wie Befürworter
der Vorsorgeprogramme nutzen die Zahlen gelegentlich manipulativ. Beliebt ist das Spiel mit der Verringerung des relativen Risikos. Versichert Ihnen ein Arzt, die Teilnahme an einem Vorsorgeprogramm verringere Ihr Risiko, an der Erkrankung zu sterben, um 30 oder gar um 50 Prozent, würde Sie sich dann eine solche Chance entgehen lassen? Wohl kaum. Ist die erste Euphorie verflogen, sollten
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