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KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
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Schluss. Jede Operation hat eine Kehrseite. Sie produziert Nebenwirkungen. Je radikaler der Eingriff ist, je weiter die Resektionsgrenzen über den sichtbaren Tumor hinausgeschoben werden, desto kleiner wird der Anteil der Patienten, die von einer solchen Ausdehnung der Operation noch profitieren.
    Viele Patientinnen mit wenig aggressiven Tumoren hätten durch schonendere Operationen geheilt werden können. Und die meisten Patientinnen mit hoch aggressiven Varianten profitieren nicht, weil bei ihnen Metastasen auftreten,denen sie zum Opfer fallen. Für die Gesamtheit aller Patientinnen wird die Kosten-Nutzen-Relation immer schlechter, mag es auch einzelne Frauen geben, denen ein noch radikalerer Eingriff helfen würde.
    Kein Chirurg sollte versuchen,
so lautet die Lehre aus dieser bitteren Bilanz, gegen die Biologie eines Tumors zu operieren. Sind die entsprechenden genetischen Weichen gestellt, können auch kleine Tumoren bereits alle lokalen Fesseln hinter sich gelassen haben. Manche Krebsformen wie der sogenannte kleinzellige Lungenkrebs oder das anaplastische Schilddrüsen-Karzinom sind dafür berüchtigt, extrem früh in den Körper zu streuen.
    Aber auch innerhalb einer Krebsform wie dem Brustkrebs ist die Bandbreite des biologischen Verhaltens sehr groß. 26 Die Geschichte, die in diesem Buch erzählt wird, liefert dafür ein unseliges Beispiel. Hinter dem scheinbar uniformen Bild einer Krebszelle unter dem Mikroskop kann sich eine erhebliche genetische Varianz verbergen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zellen durchschnittlicher Karzinome zwischen 50 und 80 verschiedene Genmutationen aufweisen. Es sind daher unzählige unterschiedliche Kombinationen wachstumsfördernder Mutationen denkbar, die jeweils in ein ganz unterschiedliches biologisches Verhalten der einzelnen Tumorerkrankung münden können. Wir fangen gerade erst an, den Konsequenzen dieser genetischen Vielfalt innerhalb einzelner Krebsformen auf die Spur zu kommen. Um den vielen verschiedenen Erscheinungsformen des Krebses und damit dem einzelnen Patienten gerecht zu werden, gilt es Strategien zu entwickeln, die geeignet sind, für jede Form der Krebserkrankung und für jedes einzelne Krankheitsstadium die richtige Balance zwischen Aggressivität und Zurückhaltung zu finden. 27
    Trotz aller Fortschritte der nicht-operativen Therapieformen ist die Tumorchirurgie auch 100 Jahre nach Halsted die wichtigste Säule der Krebstherapie geblieben. Sie hat in dieser Zeit ihre Möglichkeiten gewaltig erweitert. Praktisch jedes Organ ist einer Operation zugänglich. Viele Tumoren, die zu Halsteds Zeit als nicht operabel galten, können heute entfernt werden. Halsteds Erben beschränken sich nicht mehr nur auf das Entfernen von Gewebe. Sie haben auch Techniken entwickelt, um die Defekte, die eine Krebsoperation hinterlässt, bis zu einem gewissen Grad wieder zu reparieren. Nicht nur durch eine bessere chirurgische Technik, sondern auch dank der Fortschritte der Anästhesie und der Intensivmedizin sind aus Hochrisikooperationen inzwischen Routineeingriffe geworden. Der Patientenanteil, der aufgrund der Therapieund nicht wegen der Krankheit stirbt, ist seit Billroths Zeiten drastisch gesunken. Wenn keine Indizien für abgewanderte Krebszellen vorliegen, bleibt die Operation vielfach die Therapie der ersten Wahl. Abgesehen von den Krebsformen, die sehr früh zur Metastasierung neigen, kann die Mehrzahl dieser Patienten durch eine Entfernung des Tumors tatsächlich geheilt werden.
    Mindestens genauso wichtig
wie die Fortschritte der Operationstechnik, der Narkose und der Nachbetreuung der operierten Patienten war ein anderer Lernprozess. Dabei geht es um die Umstände, die einen Krebspatienten für die Therapie mit dem Skalpell überhaupt qualifizieren. Die Krebschirurgie muss lernen, in welchen Fällen eine Operation erfolgversprechend ist und wann Chirurgen besser die Finger von dem Patienten lassen sollten. Die Definition der Kriterien dieses Auswahlvorgangs ist ein schwieriger Prozess. Im Lauf der letzten 100 Jahre wurden diese Kriterien immer komplexer und subtiler. Die Chirurgen mussten dabei lernen zu teilen und abzugeben.
    Ende des 19. Jahrhunderts stand die Chirurgie im Kampf gegen den Krebs allein auf weiter Flur. Ein Krebsmedikament war nicht in Sicht; andere Formen der Therapie waren kaum vorstellbar. In dieser vertrackten Situation war es ausgerechnet ein Ereignis im beschaulichen Würzburg, das der Medizin plötzlich eine ganz neue Option an die

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