KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
diese Erkenntnisse zu verschaffen. Es bestand also auf absehbare Zeit wenig Hoffnung, mehr Licht in das Dunkel bringen zu können.
Wie so oft wurde auch hier die Wissenschaft aus klugen und vor allem gut definierten Fragen geboren. Eine Handvoll rühriger Ärzte und Wissenschaftler formulierte einen Katalog der drängendsten Probleme rund um die Strahlentherapie. Dieser Katalog umfasste neun Punkte:
Wie wirken die Strahlen auf Zellen?
Welche Dosen sind notwendig, um einen Tumor zu kurieren?
Welche Dosen verträgt ein Patient?
Was ist die optimale »Darreichungsform« der Strahlung?
Wie lässt sich die Wirkung der Bestrahlung auf eine Tumorzelle verstärken?
Wie kann man gesundes Gewebe vor der Strahlung schützen?
Wie bringe ich die Dosis in den Tumor?
Wie messe ich die Dosis?
Wie treffe ich das Ziel?
Die ersten vier Fragen
sind biologischer Natur. Sie leiteten die Geburt der Strahlenbiologie ein. Die letzten drei Fragen betreffen technische oder physikalische Probleme. An ihnen arbeitet sich seither die medizinische Physik ab. Bei der Lösung des fünften und sechsten Problems hat die Radioonkologie den unschätzbaren Vorteil, sich das Beste aus beiden Welten nehmen zu können. Zur Lösung dieser Probleme können Ansätze aus der Physik und der Strahlenbiologie miteinander konkurrieren oder sogar kooperieren. Im Wesentlichen ist es genau dieser Katalog von insgesamt neun Fragen, der die Radioonkologie bis heute beschäftigt.
Der Krieg als Vater vieler, aber nicht aller Dinge
Zufall und Versehen, beide Faktoren spielen in der Geschichte der Naturwissenschaften eine größere Rolle, als die meisten von uns annehmen würden. Auch bei der Entdeckung der Röntgenstrahlen hatte eine Mischung aus Zufall und technischen Unzulänglichkeiten ihre Hand mit im Spiel. Als Wilhelm Conrad Röntgen am 8. November des Jahres 1895 mit der Kathodenstrahlröhre herumhantierte, fiel ihm plötzlich auf, dass ein speziell beschichtetes Papier in der Umgebung der Röhre zu leuchten begann. Dieses Leuchten war auch dann noch zu erkennen, als er die Entladungsröhre mit dicker schwarzer Pappe abschirmte. Die Röhre war eine ziemlich primitive Installation, die auf den ersten Blick einer überdimensionierten Glühbirne glich. Das, was diese Röhre aussandte, war in so ziemlich jeder Hinsicht das Gegenteil dessen, was sich ein Strahlentherapeut wünscht. Die Strahlung war inkonstant, sie streute stark, sie changierte über ein weites Energiespektrum.
Die Unzulänglichkeiten waren
Röntgens Glück. Die starke Streustrahlung der Röhre war vermutlich der Grund, warum der Zufall ihm die Chance bot, die Strahlung überhaupt zu entdecken.
Ein Röntgenstrahl zur Krebstherapie muss vor allem drei Anforderungen erfüllen: Er muss möglichst konstant sein. Er sollte scharf fokussierbar sein, eine hohe mittlere Strahlungsenergie und einen möglichst geringen Anteil von Strahlung mit niedrigerer Energie haben.
1913 gelang William Coolidge, damals Vize-Präsident der Entwicklungsabteilung von General Electric, die. entscheidende Verbesserung. Es entstanden Geräte, die nicht nur zur Behandlung von Hautkrankheiten taugten, sondern auch im Halbtiefenbereich von einigen Zentimetern wirksam waren. Diese sogenannten Orthovolt-Röhren arbeiten mit Spannungen von bis zu 300
000 Volt. Photonen-Strahlung dieser Energie wird allerdings immer noch zum großen Teil bereits in oberflächlich gelegenen Schichten oder in dichteren Strukturen wie dem Knochen absorbiert. Eine Bestrahlung von Tumoren tief im Körperinnern ist mit Orthovolt-Strahlung nicht ohne massive Überdosierungen des darüber liegenden gesunden Gewebes durchführbar.
Seltsamerweise zeichneten sich im Zweiten Weltkrieg Lösungen für Probleme ab, die in Friedenszeiten unbearbeitet liegen geblieben waren. Der verzweifelte Abwehrkampf der Royal Air Force gegen die deutsche Luftwaffe und die Jagd der Royal Navy auf die deutschen U-Boote sorgten in Großbritannienund auch in den Vereinigten Staaten für einen gewaltigen Innovationsschub im Bereich der Erforschung elektromagnetischer Wellen. Radarund Funktechnik wurde plötzlich zur Überlebensfrage für eine ganze Nation. Daher verwundert es nicht, dass ausgerechnet in Großbritannien eine Maschine entwickelt wurde, bei der die Elektronen nicht im elektrischen Spannungsfeld einer Röhre, sondern durch elektromagnetische Wellen beschleunigt werden. Eine Elektronenquelle pumpt Elektronen in eine evakuierte Röhre, wo sie in einem
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