KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
den Spontanremissionen vorausgingen. Vor einiger Zeit wurde eine Sammlung aller Fälle von Spontanheilungen von Darmtumoren der letzten 100 Jahre veröffentlicht. Bei mindestens sechs dieser 21 Fälle ging dem unerwarteten Rückgang des Tumors eine schwere Infektion voraus. 8 Noch deutlicher ist der Zusammenhang, wenn wir uns die sehr seltenen Berichte über Spontanremission von akuten Leukämien ansehen. Bei 12 von 13 Patienten musste der Betreffende vor dem spontanen Rückgang der Krebserkrankung eine schwere Infektion durchstehen. 9 Diese Duplizität der Ereignisse ist auffallend und erstaunlich. Vielleicht zeichnet sich hier tatsächlich ein gemeinsamer Nenner zumindest eines Teils der wundersamen Spontanheilungen ab. Die wirklich interessante Frage ist aber, auf welche Weise eine Infektion den Verlauf einer Krebserkrankung positiv beeinflussen könnte.
Eine mögliche Erklärung wäre das Fieber
. Krebszellen mögen erhöhte Temperaturen nicht besonders und reagieren darauf empfindlicher als gesunde Zellen. Bereits Temperaturen von 40–41°C können Krebszellen unter Umständen in den Zelltod treiben. Vermutlich ist das aber höchstens ein Teil der Wahrheit. Coley selbst hielt das Fieber eher für ein Epiphänomen, bestenfalls für einen Teilaspekt eines umfassenderen Wirkmechanismus der Toxintherapie. 10 Eine schwere bakterielle Infektion treibt das Immunsystem an den Rand seiner Möglichkeiten. Es kommt zur maximalen Aktivierung vieler Teilkomponenten der Immunabwehr. Es wäre denkbar, dass bei einem solchen breitangelegten Prozess viele immunkompetente Zellen kreuzaktiviert werden und dann nicht nur Infektionserreger, sondern auch Strukturen von Tumorzellen erkennen. 11 Es müssen nicht einmal die spezifischen, das heißt passgenau durch Tumor-Antigene stimulierten Killer-T-Zellen sein, die dem Krebs dabei das Leben schwer machen könnten. Möglicherweise setzt die Entzündungsreaktion auch Krebszellen unter Stress, so dass sie sich in einer Weise verändern, die sie zum Opfer von natürlichen Killer-Zellen (NK) macht.
Im Rahmen einer Sepsis kommt es zu einem wahren Sturm von Zytokinen. Solche Eiweiße wie Interleukin-1, Interleukin-2, Interferon- oder – nomen est omen – der Tumor-Nekrose-Faktor- können nicht nur Lymphozyten aktivieren: Sie können viele Krebszellen auch unmittelbar schädigen. Unter Umständen stoßen sie sogar deren Selbstmordprogramme an.
Andere Berichte über Spontanremissionen
erwähnen im Vorfeld der Rückbildung des Tumors zwar keine Infektion, aber einen operativen Eingriff. Auch dieser Zusammenhang könnte auf eine Beteiligung spezifischer oder unspezifischer immunologischer Effekte hinweisen. Verletzungen könnten akute Entzündungsvorgänge auslösen, die zu einer breiten Aktivierung des Immunsystems führen. So verführerisch es sein mag, aus der zeitlichen Koinzidenz einen Kausalzusammenhang abzuleiten, so ist diese Annahme zur Zeit doch vor allem eines: spekulativ. Denn seltene Ereignisse lassen sich schwer in experimentellen Modellen abbilden. Auf den endgültigen Beweis, dass das Immunsystem eine irdische Erklärung für manche wundersame Heilung liefert, warten wir noch.
Die lange Hand Gottes? Oder beeinflusst die Psyche diese Welt?
Placebo : »Ich werde gefallen.« Nichts anderes bedeutet einer der meist-missverstandenen Begriffe der Medizin im Wortsinn. Das Missverständnis, das ich meine, ist die Gleichsetzung von Placebo und Wirkungslosigkeit. Das Gegenteilist der Fall. Der Placebo-Effekt ist echt, messbar und reproduzierbar. Er ist sozusagen der wissenschaftliche Nachweis für die Macht des Geistes über den Körper.
Ich erinnere mich noch gut an eine knapp 50-jährige Patientin, die vor einigen Jahren auf unserer Station lag. Sie war eine schwere Asthmatikerin und hatte immer wieder akute und recht dramatische Anfälle. Ich war damals noch Assistenzarzt und hatte Nachtdienst. Mir war klar, dass mir eine unruhige Nacht bevorstand. Kurz vor 21 Uhr war es wieder so weit: Mein Piepser ging, und eine verzweifelte Schwester berichtete, Frau Z. habe schon wieder akute Atemnot. Ich lief in ihr Zimmer und fand sie schwer keuchend und bläulich angelaufen im Bett. Das Pulsoxymeter zeigte bereits einen bedrohlichen Abfall der Sättigung des Blutes mit Sauerstoff.
Da sie bereits mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Asthma-Medikamenten versorgt war, wusste ich mir nicht anders zu helfen, als rasch eine Spritze mit Kochsalz-Lösung aufzuziehen. Ich injizierte ihr die
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