KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Der Anblick einer nackten Venus hinterlässt andere biochemische Spuren als das Lachen eines Kindes, die Fratze eines Folterknechts oder der Anblick eins gequälten Körpers.
Die chemischen Spuren unserer Gefühlswelt lassen sich nicht nur nachweisen, sie wirken natürlich auch außerhalb des Gehirns. Die großen kybernetischen Systeme unseres Körpers, das Nervensystem, das endokrine System der Hormone und das Immunsystem existieren nicht in getrennten Parallelwelten; sie sind hocheffizient quervernetzt und beeinflussen sich wechselseitig.
Wir haben damit das Problem des cartesianischen Schnitts damit natürlich nicht gelöst, sondern lediglich kurzgeschlossen. Für unsere Zwecke genügt das. Im Detail haben wir noch wenig Ahnung davon, wie und wie weit der Geist in den Körper hineinregieren kann. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass es passiert. Damit könnten Phänomene wie Geistheilung im Sinne einer Heilung durch die Kraft des eigenen Geistes erklärt werden, ohne fremde Geister bemühen zu müssen. Selbst die Geistheilung von Krebserkrankungen ist innerhalb eines geschlossenen naturwissenschaftlichen Weltbildes zumindest denkbar, ohne die Grundfesten des Systems zu erschüttern.
Wir haben allerdings keine Ahnung, ob dieses Phänomen tatsächlich existiert. Die unzähligen Anekdoten, Gerüchte und Legenden über Geistheilungen lassen jedenfalls viel Raum für andere, oft deutlich plausiblere Erklärungsmuster. Wirft man einen Blick in die größte Sammlung wissenschaftlich dokumentierter Fälle von Spontanheilungen, stellt man fest, dass in den wenigsten Fällen über eine besondere spirituelle Haltung oder über ungewöhnliche mentale Anstrengungen der wundersam Geheilten berichtet wurde. 27 Trotzdem fällt denen, die glauben, ihrem Geist ein Stückchen Macht über den Krebs einräumen zu können, der Umgang mit ihrer Erkrankung möglicherweise leichter. Sie dürfen nur nicht zur leichten Beute von Scharlatanen werden. Denn wenn ein Geist heilt, dann ist es am ehesten der Patienten eigener Geist.
Fazit – Irdische Erklärungen für wundersame Ereignisse: Mögliche Ursachen von Spontanheilungen
Wunder gibt es. Selbst der Krebs muss sie ab und an zulassen. Schon dieses Wissen kann wertvoll sein. Ich habe Imogen die Geschichten über Spontanheilungen vor allem deswegen erzählt, weil sie schön sind und weil sie kleine Pflaster auf brennende Wunden waren. Aber sie sind auch für Onkologen interessant. Sie enthalten Fingerzeige, aus denen wir vielleicht etwas darüber lernen können, wie dem Glück auf die Sprünge zu helfen wäre. Wir wissen nicht, ob alle diese Wunder von dieser Welt sind. Die Antwort auf diese Frage hängt mehr mit dem persönlichen Blick auf die Welt als mit der Kenntnis der Fakten zusammen. Aber wir können Ockhams Messer ansetzen und merken, dass es in vielen Fällen sehr plausible Erklärungsmuster für Phänomene wie Spontanheilungen gibt.
Das Immunsystem ist der heißeste Kandidat, wenn wir in unserem Körper nach den Ursachen von Spontanheilungen fahnden. Trotzdem haben wir im Detail wenig Ahnung davon, welche Ereignisse das eingeschläferte Immunsystem wieder wachgeküsst haben. Bei manchen Tumoren mag auch der plötzliche Entzug von Hormonen oder anderen Wachstumsfaktoren der Auslöser einer wundersamen Heilung sein. Bei den seltenen Krebsformen, die aus sehr unreifen, stammzellähnlichen Zellen entstehen, scheinen Tumorzellen manchmal wie von selbst wieder auf die rechte Bahn zu finden und sich zu reifen und gutartigen Zellen weiterzuentwickeln.
Der Gedanke klingt verlockend,
dass auch das Gehirn, also letztendlich wir selbst, eine gewisse Macht auf den Krebs ausüben kann. Denkbar wäre das. Doch sind das zum großen Teil Spekulationen. Eigentlich wissen wir über das Wunder der Spontanheilung bisher fast nichts. Alle bisherigen Kapitel wurden wie Insekten oder Schalentiere von einem Exoskelett zusammengehalten. Dieser Panzer war das, was die Medizin an objektiven Fakten über den Krebs zusammengetragen hat, eine hoffentlich tragfähige Konstruktion, auch wenn sie an der einen oder anderen Stelle noch ziemlich dünn oder gar löchrig ist. Im letzten Kapitel fällt dieser schützende Panzer weg, und die Innenansicht der Krankheit tritt zutage. Leider führt der Krebs immer noch fast die Hälfte aller Erkrankten immer weiter an die Ränder ihrer Existenz. Wie lässt es sich leben im Bewusstsein, eine Krankheit zu haben, die zum Tode führt?
12. Kapitel
Im
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