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KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
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völlig wirkstofffreie Lösung in die Vene, natürlich nicht ohne zu versichern, es handele sich um ein rasch wirksames und hochpotentes Medikament. Dann setzte ich mich auf die Bettkante, nahm ihre Hand und redete weiter beruhigend auf sie ein. Die Wirkung war verblüffend. Schon nach einer Minute atmete sie deutlich ruhiger. Auch die objektiv messbaren Größen veränderten sich. Ihre Sauerstoffwerte lagen schon nach wenigen Minuten wieder im normalen Bereich.
    Solche dramatischen Effekte von Placebos
sind keine Einzelfälle. Die reale Existenz des Placebo-Effekts ist besser belegt als die Wirkung mancher Medikamente. 25 Ich habe daher nie ganz verstanden, warum die meisten überzeugten Homöopathen gekränkt sind, wenn die Wirkung der Homöopathika vor allem dem Placebo-Effekt zugeschrieben wird. Nach meiner Meinung ist die Homöopathie im Wesentlichen ein teilweise sehr subtiles, in Jahrhunderten gewachsenes und daher ausgefuchstes System der Fremd- und der Autosuggestion. Das schmälert weder ihre Bedeutung noch die Sinnhaftigkeit eines homöopathischen Behandlungsversuchs in bestimmten Situationen. Die ehrliche Überzeugung vieler Homöopathen, ein wirksames Medikament in den Händen zu halten, schadet dabei nichts – im Gegenteil. Sie verstärkt vermutlich noch die suggestive Kraft des Placebos.
    Aber wie kann ein immaterieller Geist – im Grunde eine Tautologie – in die Räderwerke des materiellen Körpers greifen? Ich möchte mir nicht anmaßen,hier en passant dieses uralte philosophische Problem des cartesianischen Schnitts 26 lösen zu wollen. Vermutlich ist schon die Frage falsch gestellt. Was mir bleibt, ist die Bewertung beobachtbarer Phänomene. Das Besondere am Gehirn ist, dass es Zustände produziert, die wir momentan nur mit nebelhaft immateriellen Begriffen wie Bewusstsein und Bedeutung umschreiben können. Die Heimat dieser beiden Begriffe liegt außerhalb des Geltungsbereichs der Biologie. Wie aus dem Konzert der Neuronen, dem Tanz der Transmitter und dem Gewitter der Ionenströme Bedeutung und Bewusstsein entstehen, ist ein Rätsel, vor dem ich – ein Onkologe, der gewohnt ist, oft bereits an der Komplexität einer einzelnen Zelle zu verzweifeln – mich in Demut und Ehrfurcht verneige. Glücklicherweise müssen wir aber gar nicht verstehen, wie das Gehirn Bedeutung und Bewusstsein produziert, um die Frage zu klären, ob wir tatsächlich Geister oder Götter bemühen müssen, um Phänomene wie Geistheilung zu erklären. Wenn wir das Offensichtliche akzeptieren, sind Geistheilung und Placebo-Effekt zwei Seiten einer Medaille und beide auch innerhalb eines wissenschaftlichen Weltbildes zu verstehen.
    Nehmen wir zum Beispiel die Vorgänge beim Betrachten eines Bildes. Der menschliche Erfindungsgeist hat raffinierte Maschinen wie die Digitalkamera oder den Computer ersonnen, die genau wie wir Bilder »betrachten« können. Diese Geräte nehmen die optischen Informationen eines Bildes in sich auf, übersetzen und speichern sie digital, um jederzeit detailgenau jedes Bild reproduzieren und ausgeben zu können. An Detailtreue und Reproduktionsgenauigkeit sind diese Abbildungen dem Gehirn sogar deutlich überlegen. Für eine andere Kategorie von Information hingegen sind sie vollkommen blind. Anders als wir übersehen sie den semantischen Gehalt eines Bildes. Pixel für Pixel werden exakt nebeneinandergelegt, trotzdem entsteht im Computer oder gar in einer Kamera keine Repräsentation der Bedeutung der Abbildung.
    Ganz anders im Gehirn
: Es legt seine Folien der Erfahrung über das wahrgenommene Bild, gleicht die Strukturen und Informationen ab und bewertet sie. So produzieren Bilder in Menschen affektive Zustände wie Zuneigung oder Abneigung, Gleichgültigkeit oder Interesse, Zustände von Lust, Freude, Abscheu, Wut, Furcht oder Trauer.
    Die Verarbeitung optischer Information ist nur ein Beispiel. Auch Geräusche, Träume, Gedanken, Erwartungen und Vorstellungen, sogar Gerüche haben emotionale Konnotationen und können in uns ganze Vorstellungswelten zum Blühen bringen.
    Und hier schließt sich der Kreis. Emotionale Zustände manifestieren sich in sehr handfesten physiologischen Prozessen, die man messen und quantifizieren kann. Nervenzellen feuern, und ihre elektrischen Potentiale kann man ableiten und beobachten. Das Gehirn betreibt dabei auch die Ausschüttung einer Vielzahl von chemischen Signalen durch Neurotransmitter, Hormone und Endorphine, die vielen endogenen Drogen unseres Körpers.

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