KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Ende können Heilung und ein Leben nach der Leukämie stehen. Die Natur dieser Krankheit lässt sowohl den Ärzten als auch den Patienten kaum eine andere Wahl.
Die meisten Krebserkrankungen sind aber anders. Wenn sie nicht definitiv geheilt werden, nisten sie sich ein und werden zum Dauergast. Das Leben ist dadurch noch nicht am Ende. Aber es beginnt eine andere Art von Leben, ein Leben mit dem Krebs. So schrecklich eine unheilbare Krebserkrankung ist – nicht jede führt in wenigen Monaten zum Tode. Ein Leben mit dem Krebs kann im Extremfall Jahrzehnte dauern. Gemessen an der Prognose für die Lebenserwartung unterscheiden sich viele Krebserkrankungen nicht von manchen anderen Erkrankungen. Auch andere Krankheiten haben einen chronischen Charakter, ohne dass sie im klassischen Sinn heilbar sind. Gerade die großen Volksleiden, die Zuckerkrankheit, die Verengung der Herzkranzgefäße und die anderen chronischen Schäden der Gefäßsystems durch Arteriosklerose, die Parkinsonsche Erkrankung, Lungenkrankheiten wie die Lungenfibrose und das Lungenemphysem oder auch der schleichende zirrhotische Umbau der Leber auf dem Boden einer chronischen Hepatitis oder durch permanenten Konsum von Alkohol sind chronische Krankheiten. Auch sie können die verbleibende Lebenszeit oft deutlich limitieren. In Deutschland fallen immer noch mehr Menschen den Krankheiten des Herzens und der Gefäßsysteme zum Opfer als dem Krebs. 2 Bei all diesen Erkrankungen ist die Medizin nicht in der Lage, das Rad an den Ausgangspunkt zurückzudrehen. Sie greift daher zu Strategien, die das Leben mit der Krankheit optimieren.
In dieser Hinsicht nehmen die unheilbaren, chronifizierten Krebserkrankungen also keinen Sonderstatus ein. Die Bandbreite der Verläufe von Krebserkrankungen ist allerdings gewaltig. Manche Formen des Krebses sind träge, fast gutmütige Gesellen. Wir haben gelernt, dass langsam wachsende Formen des Prostatakrebses unter Umständen überhaupt nicht behandelt werden müssen, wenn sie bei Männern jenseits des 70. oder 75. Lebensjahrs entdeckt werden. 3 Selbst manche Varianten der chronischen Leukämien wie die chronischlymphatische Leukämie oder auch die Haarzell-Leukämie glimmen oft so langsam vor sich hin, dass Menschen mit diesen Erkrankungen oft viele Jahre ohne jede Form der Behandlung oder mit begrenzten therapeutischen Interventionen gut zurechtkommen. Ähnliches gilt auch für manche langsam wachsende Sarkome oder für bestimmte Spielarten der sogenannten niedrigmalignen Formen von Lymphdrüsenkrebs. Werden solche Krebserkankungen erst jenseits des 70. Lebensjahres entdeckt, so ist die statistische Lebenserwartung der Betroffenen kaum geringer als die gesunder Altersgenossen. Auch wenn Metastasen manifest werden, können sich Krebserkankungen über viele Jahre hinziehen. Solche Verläufe beobachten wir vor allem beim Nierenzellkrebs, bei manchen Formen von Sarkomen und selbst bei manchen Patientinnen mit Brustkrebs.
Meine Großmutter entdeckte kurz vor ihrem 92. Geburtstag
einen großen Knoten in ihrer Brust. Die Therapie, die folgte, verletzte fast alle gültigen Regeln der Brustkrebsbehandlung. In Absprache mit uns, der Familie, entschlossen sich die Frauenärzte angesichts ihres hohen Alters zum therapeutischen Minimalismus. In lokaler Betäubung wurde ausschließlich der Tumorknoten selbst ausgeschält, die restliche Brustdrüse aber belassen. Obwohl bereits Lymphknotenmetastasen in der Achselhöhle zu tasten waren, ließen die Chirurgen diese Knoten in Frieden. Sie verordneten lediglich eine tägliche Tablette Tamoxifen, das Medikament, das dem Krebs die Östrogenzufuhr abschneidet. 4 Auch die sonst übliche Nachbestrahlung unterblieb. Aus der Retrospektive sollte sich diese Strategie in ihrem speziellen Fall als ausgesprochen glücklich gewählt herausstellen. Meine Großmutter starb in ihrem 102. Lebensjahr an einer Lungenentzündung, ohne dass der Krebs sie jemals wieder behelligt hätte.
Leider gibt es aber auch ganz andere, aggressive Krebserkrankungen; diese multiresistenten Tumoren wuchern so rasch, dass sie binnen weniger Wochen ihre Zellmasse verdoppeln können. Solche Formen des Krebses lassen dem Leben so gut wie keine Zeit mehr und drängen die Phase der palliativen Medizin auf wenige Monate zusammen. Solche schnellen, unerbittlichen Verläufe finden sich oft bei aggressiven Krebsarten: beispielsweise beim Bauchspeicheldrüsenkrebs, beim Speiseröhrenkrebs in seinen verschiedene Varianten, beim
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