KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Vor 100 Jahren war das Innere der Zelle noch ein riesiger weißer Fleck auf der biologischen Landkarte. Fast alle Erkenntnisse über das Leben im Inneren der Zelle sind ein Produkt der letzten fünfzig Jahre. 7 Trotz des exponentiell wachsenden Wissens gibt es auch heute noch weiße Flecken zu kartieren. Unser Blick in die Zelle offenbart eine hochkomplizierte, wunderbar fein ziselierte Struktur auf kleinstem Raum. Aber die Frage, worin das Geheimnis des Lebendigen besteht, ist bei aller Ehrfurcht vor so viel Komplexität noch nicht beantwortet.
Die Ärzte der Antike und des Mittelalters wussten, dass ein Organismus aus Organen wie dem Gehirn, den Lungen, der Leber oder dem Herzen zusammengesetzt ist. Seit der Entdeckung des Mikroskops wissen wir, dass die Organe wiederum aus verschiedenen Gewebetypen bestehen. In jedem Organ finden sich Blut- und Lymphgefäße, Binde- und Stützgewebe und das eigentliche Funktionsgewebe des Organs. Die Gewebe sind in erster Linie aus Zellen aufgebaut, diese wiederum aus Zellorganellen wie Zellkern, Zellmembran, Mitochondrien und so weiter. In den Organellen finden sich die Makromoleküle wie Kohlehydrate, Proteine, Nukleinsäuren. Diese sind aus kleinen Molekülen wie Aminosäuren, Zuckern, Fett oder Nukleotiden zusammengesetzt, und diese bestehen wiederum aus Atomen wie Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff oder Wasserstoff. Wir könnten dieses reduktionistische Spiel noch weitertreiben, bis wir im subatomaren Teilchenzoo landen, aber auch dort werden wir die Antwort auf das Geheimnis des Lebendigen nicht finden.
Uns geht es um die Frage, warum sich irgendwo zwischen die scheinbar gleichförmig übereinander angeordneten Sprossen dieser hierarchischen Leiter eine undurchlässige Grenze schiebt. Oberhalb dieser Grenze beginnt das Leben. Dort finden sich Wesen, die Eigeninteressen verfolgen. Der obere Teil der Leiter ist der Zuständigkeitsbereich der Biologie. Unterhalb liegt die unbelebte Welt der Gegenstände. Dort finden wir die Dinge, mit denen sich Geologen, Chemiker oder Physiker beschäftigen.
Bevor wir nach einer Antwort suchen, sollten wir uns wieder einmal klarmachen, worüber wir reden, wenn wir von Lebewesen sprechen. Einen wichtigenTeilaspekt des Lebens haben wir beim Blick auf die Zelle bereits kennengelernt. Zellen nehmen aktiv Stoffe auf, formen sie um, produzieren neue Substanzen und hinterlassen dabei Abfall. Alle diese Prozesse verbrauchen Energie. Diese Vorgänge können unter dem Begriff Stoffwechsel subsumiert werden. Stoffwechsel unter Verbrauch von Energie ist ein notwendiges Kriterium alles Lebendigen. Ein irreversibler Zusammenbruch des Stoffwechsels ist gleichbedeutend mit dem Tod. Der Stoffwechsel ist notwendig, aber nicht hinreichend, um ein Lebewesen zu charakterisieren. Motorisierte Fahrzeuge wie Schiffe, Flugzeuge oder Autos, aber natürlich auch Produktionsanlagen wie Fabriken oder Werkstätten verbrauchen ebenfalls Energie und formen zu diesem Zweck chemische Substanzen um. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, sie als Lebewesen zu bezeichnen.
Das wesentliche Element des Lebendigen fehlt noch. Es ist die Fähigkeit zur Reproduktion, zur Selbstverdopplung oder Selbstvervielfältigung. Neues Leben entsteht immer durch Zellteilung. Der Schlüssel zu dieser Fähigkeit findet sich im Innersten der Zelle, im Zellkern.
Im Atomkern des Lebens
Ist die Teilung einer Struktur etwas Besonderes? In meiner Kindheit hatte ich einen Traum. Ich träumte von der ewig teilbaren, immer nachwachsenden Schokolade. Die Realität sah leider anders aus. Bei jeder Teilung entstanden zwei neue Stücke, jedes nur halb so groß wie der Ursprung. Schnell wäre ich bei einem Haufen Krümel geendet, wenn die Stücke nicht vorher den natürlichen Weg aller Schokolade in Kinderhänden gegangen wären. Wenn ich gar versuchte, kompliziertere Gebilde wie Kofferradios, Uhren oder ein batteriebetriebenes Spielzeugauto zu teilen, war das Ergebnis noch enttäuschender. Ich hielt mitnichten zwei neue Kleinwagen in Händen. Vor mir lag unbrauchbarer Schrott. Anders als bei einfachen, homogenen Gebilden wie Schokolade werden kompliziertere Funktionsgefüge durch die fortgesetzte Teilung nicht nur kleiner, schon beim ersten Teilungsakt geht darüber hinaus fatalerweise ihre Funktion verloren. Sie sind kaputt. Die Teilung des Ganzen ergibt nicht einmal mehr die Summe der Teile.
Zellen sind ungleich komplizierter
als Spielzeugautos. Trotzdem entstehen bei Teilung einer Zelle zwei in
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